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thema
Schilderung einer betro enen GeW-Kollegin
Schadstoffbekämpfung in einer Grundschule
Für jede Schule sind Nachrichten wie diese schockierend: Das Gebäude ist
schadstoffbelastet und in hohem maße gesundheitsgefährdend. LehrerInnen,
eltern und SchülerInnen stehen vor vielen Fragen: Kann der Unterricht über­
haupt noch stattfinden? Welche maßnahmen müssen jetzt ergriffen werden?
Und wer unterstützt dabei? Nach einer solchen Diagnose ist oberste Priorität,
alle Beteiligten in den Prozess der Schadstoffbekämpfung einzubeziehen und
gemeinsam an einer Lösung zu arbeiten. Conny Decius hat diesen Fall an ihrer
Schule erlebt und schildert ihre erfahrungen für die nds.
Ende September 2011 wurde der Lehrerrat
unserer Grundschule von der Schulleitung
spontan um einen Termin nach dem Unterricht
gebeten. Völlig unvorbereitet saßen wir einem
Vertreter der Stadt sowie einer Sachverstän­
digen für Baubiologie gegenüber. Sie teilten
uns mit, dass unsere Schule in hohem Maße
mit Formaldehyd belastet sei und dringender
Handlungsbedarf bestehe: „Derartige Werte
stellen insbesondere bei empfindlichen Per­
sonen bei Daueraufenthalt in dem Raum eine
gesundheitliche Gefährdung dar.“
Schadsto bekämpfung: erste Schritte
Einen Augenblick saßen wir von dieser
Nachricht überrumpelt sprachlos da. Die Ge­
danken aber rasten: Seit 14 Jahren war ich an
dieser Schule. Seit 14 Jahren hatten mehrere
KollegInnen – ich eingeschlossen – über einen
stechenden Gestank geklagt, über Kopfschmer­
zen in der Schule, fast alle von uns haben
Bluthochdruck. Schon immer hatten wir Unter­
suchungen gefordert, die jedoch nach unserem
Informationsstand nie unternommen wurden.
Doch jetzt war klar: Wir waren nicht die „Über­
sensiblen“, sondern hatten Recht mit unserer
Vermutung, dass irgendetwas nicht stimmte.
Nach den Untersuchungen eines baubiolo­
gischen Instituts – über deren Durchführung
niemand informiert worden war – zu wissen,
dass die SchülerInnen und LehrerInnen jahre­
lang dem gefährlichen Formaldehyd ausgelie­
fert waren, war ein Schock. Der Vertreter der
Stadt sowie die Sachverständige hatten sogar
schon eine Lösung bereit: Zunächst einmal
Ruhe bewahren. Bis zu den Sommerferien 2012
sollte ein strenges Lüftungssystem eingehalten
werden – fünf- bis fünfzehnminütige Lüftungs­
vorgänge vor jeder Unterrichtsstunde. Diese
würden den Formaldehydgehalt angeblich
auf ungefährliche Werte senken. In den Som­
merferien 2012 sollte dann renoviert werden.
Hilfe von GEW-ExpertenInnen
Doch so geschockt wir auch waren, war
uns eines klar: Alle KollegInnen und auch die
Elternschaft mussten umgehend informiert
werden. Und zwar von der Stadt. Vier Tage
später fand eine Lehrerkonferenz statt und
auch die Schulpflegschaft wurde einbezogen.
Es begann eine Zeit der Diskussionen und der
Unruhe. Morgens zur Arbeit zu gehen und zu
wissen, dass der Aufenthalt in der Schule die
Gesundheit gefährdet, ist ein übles Gefühl.
Erst zu diesem Zeitpunkt erfuhr ich, dass in
meinem Klassenraum bereits im Mai 2011
Messungen durchgeführt worden waren, die
extrem hohe Konzentrationswerte an Formal­
dehyd ergeben hatten. Die Schulleitung hatte
mich darüber nicht informiert und in mir brei­
tete sich ein Gefühl ohnmächtiger Wut aus.
Wie gut, dass mir die GEW, der ich seit
über 35 Jahren angehöre, helfen konnte. Mit
der professionellen Beratung des Gefahrstoff­
experten Manfred Etscheid und der Zusage
des GEW-Rechtschutzes als Rückversicherung
gelang es mir, meine Wut umzulenken in
zielgerichtete Diskussionen. Es gab unendlich
viele Gespräche mit KollegInnen und Eltern.
Manfred Etscheid informierte sachgerecht
über die Auswirkungen von Formaldehyd
und nannte Adressen von Ärzten, die Tests
durchführen. Er erklärte die Möglichkeit der
Arbeitsverweigerung und wies vor allem da­
rauf hin, dass wir trotz des Ärgers über die
Schulleitung diese mit ins Boot nehmen
müssten. Und wir hatten Erfolg! Sowohl die
Lehrerkonferenz als auch die Eltern in der
Schulpflegschaft beschlossen einstimmig: Bis
zu den Herbstferien – ab diesem Zeitpunkt
waren es noch zwei Wochen – bleiben Leh­
rerInnen und SchülerInnen bei Einhaltung
des Lüftungskonzeptes in der Schule. Paral­
lel sollte nach Ausweichquartieren gesucht
Foto: fotolia.com
werden. Nach den Herbstferien findet kein
Unterricht mehr in der Schule statt, bis die not­
wendigen Baumaßnahmen zur Renovierung
abgeschlossen sind. Damit war die Stadt im
Zugzwang, schnell zu handeln.
Schnelles Handeln ist gefragt
Schließlich wurden wir ausquartiert. Alle
Klassen konnten in benachbarten Räumlich­
keiten unterkommen. Sicher, diese Zeit war
mit viel Zusatzorganisation und auch Chaos
verbunden. Das wichtigste Material musste
mit umziehen und der Stundenplan geändert
werden. Aber wir unterrichteten in unbelas­
teten Räumen! Bis zu den Osterferien 2012
waren die wichtigsten Arbeiten erledigt und
wir konnten zurück in unsere Schule. Die Stadt
hatte zunächst geplant, mit den Baumaß­
nahmen erst in den Sommerferien 2012 zu
beginnen. Da jedoch alle an einem Strang
zogen und so der Druck auf die Verantwort­
lichen stieg, wurden sämtliche Maßnahmen
beschleunigt und die Schadstoffbekämpfung
schnell vorangetrieben.
Conny Decius
Conny Decius
Grundschullehrerin
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