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nds 6/7-2015
KeinRaum fürKonfliktjournalismus?
Nach Untersuchung der Diskussionen um
immerhin fünf demokratische Angriffskriege –
vomZweitenGolfkrieg (1991) bis zumAntiterror-
Krieg inAfghanistan (2001) –befandder inter-
nationale FriedensforscherHaraldMüller: Das
Zusammenspiel von Demokratie, Medienwelt,
Macht und Krieg befördere Diskurse nicht, in
denen es um Rechtfertigungsgründe für den
EinsatzmilitärischerGewaltgehtund indenen
einmalgefällteEntscheidungen imNachhinein
kritischüberprüftwerden könnten.Müller identi-
fizierte fünf zentraleKommunikationsstrategien,
mit denendemokratischeRegimeundMedien
versuchen,einengeplantenKriegzu legitimieren:
I. Dämonisierung der gegnerischen Politiker,
II. Attribuierung genozidaler Neigungen bei
denselben,
III. Behauptung der Unvermeidlichkeit einer
kriegerischenAuseinandersetzung bei
IV. geringem Eigenrisiko sowie schließlich
V. VerschweigenweitererMotive.Argumenta-
tive Gegenführungen im Sinne eines kon-
fliktsensitivenQualitätsjournalismus liegen
aufderHand,dochkamenAlternativenund
echteGegenargumente kaum zum Zuge.
Offensichtlich sind die vonMüller benannten
Kommunikationsstrategien Ausfluss eines
„Kriegs- beziehungsweise Gewaltjournalismus“,
dem der norwegische Friedensforscher Johan
Galtungeinendemokratieangemessenen „Frie-
dens- beziehungsweise Konfliktjournalismus“
gegenüberstellt (siehe Tabelle). Verstehenwir
das Schema recht: Idealtypisch angelegt, im-
pliziert es weder die These, der gängige kon-
fliktbezogene Journalismus bediene einzigdie
rechteSpalte, nochdieAufforderungandiesen,
allen Anforderungen der linken Spalte zu ent-
sprechen.Häufig fälltdieBilanzehergemischt
aus, abermit (zu) viel Luft nach links – hieran
lässt sich arbeiten!
Ukraine-Krise:
Putin ist anallem schuld?
Zweifelsohnewarund istdasMedien-Covering
der aktuellen Ukraine-Krise besonders stark
imKriegs- undGewaltjournalismus verwurzelt.
Dass interessierte journalistische Konstrukti-
oneneinegroßeRolle spielten, zeigt sich schon
daran, dass sichbis zumSpätsommer2014ein
Narrativ, eine diskursive Konfliktrahmung als
fast konkurrenzlos erwies, die man „Putin ist
anallem schuld“überschreibenkonnte.Dadie
KonfliktkonstellationenderKontrahentenmeist
auf „Zwei Parteien, einZiel (Sieg)“ –EU- gegen
russlandorientierteUkrainer – festgeschrieben
wurden, unterlief es entschieden die Friedens-
undKonfliktorientierungdesGaltung-Schemas.
Wenig verwunderlich, dass schließlich ein
Gegennarrativ Ausdruck und AnhängerInnen
fand. Es rekurrierte vor allemauf dieRussland
seit zwei Jahrzehnten aufgezwungene NATO-
Expansion, dieerpresserischeEU-Politikgegen-
überderRegierung Janukowitsch, diegeheime
US-Unterstützung fürdenEuromaidanund ließe
sichnach JohnMearsheimermit „Putin reagiert
(nur)“überschreiben. Auchdas zweiteNarrativ
ist vonEinseitigkeitennicht frei, reflektiertaber
medienwissenschaftliche Kritik an „Halbwahr-
heitenundDoppelstandards“ (Goeßmann), trägt
wichtigen Fakten und Handlungsdynamiken
angemessener Rechnung. Undes hält eher ein
konstruktivesLösungsangebot fürdiezugespitzte
ukrainische Krisensituation bereit: eine durch
vereinigteOst-West-HilfeprosperierendeUkraine,
derennicht einseitigauf Russlandoder dieEU
festgelegter Kurs breite zivilgesellschaftliche
ZustimmungfindenundeinemNeustart inden
Beziehungen beider zuarbeiten könnte.
Hieran kann ein friedenswissenschaftlich
geschultesKonfliktlösungsdenkenanschließen,
dasangesichtsder traditionellenAuffächerung
undZerrissenheitderukrainischenGesellschaft
„tausend innerukrainische Dialoge“ fordert
und ein Staatsmodell befürwortet, dass föde-
ral geprägt ist, regionale (Ost/Westukraine)
wieauch lokaleAutonomienunterschiedlichen
Grades starkmacht und gleichwohl an einem
einheitlichen Staat „Ukraine“ festhält.
KomplexeKonfliktebrauchen
komplexen (Friedens-)Journalismus
Fest steht, dass in der Ukraine-Krise neben
denangesprochenen innerukrainischenundden
außenpolitischen Konfliktlinien einer Ukraine
zwischen Russland und den teilidentischen
Staatengruppen von EU und NATO weitere
Konfliktlinien zusammenlaufen – nicht zuletzt
innerwestliche: die versteckteHegemonialkon-
kurrenz zwischen EU und US. Insgesamt eine
hochkomplexeKonfliktsituation, derenVermitt-
lung und vernünftige Gestaltung eminente
mediale Anstrengungen und journalistisches
Geschick verlangen. Wie hilfreich, trüge die
friedensjournalistisch genutzte Vielfalt aktueller
MedienundMedienformate –darunter beispiels-
weise auch Blogs und Twitter – dazu bei, die
KonfliktlagenzumNutzenallerzutransformieren
unddenWeg zu ebnen für eine stabilere euro-
päischeFriedensordnungalsdiegegenwärtige,
definitiv erschütterte!
Hajo Schmidt
Prof. Dr. Hajo Schmidt
Philosoph und Friedensforscher
Friedens- beziehungsweiseKonfliktjournalismus
Kriegs- beziehungsweiseGewaltjournalismus
I. Friedens- bzw. konfliktorientiert
Erforscht die Konfliktformation:
x Parteien, y Ziele, z Gegenstände.
Allgemeine „win-win“-Orientierung.
I. Kriegs- bzw. gewaltorientiert
Beschreibt die Konfliktarena:
2 Parteien, 1 Ziel (Sieg), Krieg.
Generell nullsummenorientiert.
II.Wahrheitsorientiert
Entlarvt Unwahrheiten auf allen Seiten.
II. Propagandaorientiert
Entlarvt dieUnwahrheiten der anderen.
III. Menschenorientiert
Fokussiert jegliches Leiden;
das Leid der Frauen, Alten, Kinder;
gibt den Stimmlosen eine Stimme.
III. Eliteorientiert
Fokussiert unser Leid;
das Leid der wehrfähigenMänner, die Elite bilden;
ist deren Sprachrohr.
IV. Lösungsorientiert
Frieden=Gewaltfreiheit +Kreativität.
Berichtet über dieNachkriegsphase: Konfliktlösung, Wieder-
aufbau, Versöhnung.
IV. Siegorientiert
Frieden= Sieg+Waffenstillstand.
Wendet sich nachKriegsende dem nächstenKonfliktherd zu.
Viel Luft nach links: Konfliktbezogene Berichterstattung brauchtmehr Friedens- beziehungsweise Konfliktjournalis-
mus! (Gegenüberstellung nach JohanGaltung)
Foto: gb-photodesign.de/photocase.de
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