nds20150607 - page 17

DifferenzierteAuseinandersetzung, bitte!
Mit Erstaunen mussten wir feststellen, welch problematische Sicht-
weisen die GEWNRW in Bezug auf das Thema „Kopftuch“ vertritt. Die
Ausführungen legen der Bedeutung des Kopftuches frauenfeindliche
Absichten zu Grunde, indem der Gleichstellungsgrundsatz von Mann
undFrauherangezogenund inBezugauf kopftuchtragendeLehrerinnen
verneint wird. Schon im Vorfeld der Frage nach der Gleichstellung von
Mannund Frauwirdwertend zwischen Fraumit undohneKopftuchdif-
ferenziert. Es ist kontraproduktivund in sichwidersprüchlich, imNamen
der Gleichberechtigung für das Kopftuchverbot zu argumentieren (vgl.
Oestreich 2015). Und wieso verdeutlichen Frauen, die kein Kopftuch
tragen, per se denGleichstellungsgrundsatz?
Die Aussagen zum steigenden Druck und zur Ausgrenzung musli-
mischerSchülerinnen (undLehrerinnen)ohneKopftuchsindohneBelege,
undifferenziertundkulturalisierend.Hier hättenwir einedifferenziertere
Aufbereitung erwartet, die aufzeigt, wie Lehrerinnen mit Kopftuch
Schülerinnen ein Vorbild für Emanzipation und soziale Anerkennung
sein können. Äußerungen wie „sind hinreichend bekannt“ oder „Erfah-
rungeneinzelnerSchulenundKolleginnen“ zeugennichtvonempirischer
Absicherung. Grundsätzlich ist es legitimundnotwendig, dass in einem
nicht laizistischen Bildungssystem religionsbezogene Fragen (neu) aus-
gehandelt werden (müssen).
Aspekte der Religionsfreiheit oder der prioritärenEinflüsse der christ-
lichenReligion inderSchulewerden ignoriert.Hierwirddeutlich,dassdas
Hauptproblem in der Deutung des Kopftuches liegt, nicht imKopftuch
oder demVerhalten kopftuchtragender Lehrerinnen selbst. In einer TNS
Infratest Studieausdem Jahr 2014bestätigen77Prozent der befragten
Musliminnen, dass sieaus religiösenGründeneinKopftuch tragen. Dies
bedeutet jedoch nicht, dass Lehrerinnen ihreWeltanschauung anderen
„aufdrängen“, sonderndass siedas imGrundgesetz etablierteRecht auf
freie Religionsausübung wahrnehmen. Auch das Argument von Lale
Akgün ist fatal: Die Lösung für das Szenario der Abwanderung vieler
SchülerInnendurchdie Eltern von Schulen, andenen kopftuchtragende
Lehrerinnen unterrichten, kann nicht im Verbot des Kopftuches liegen,
sondern inderAufklärung imSinneeinermodernenMigrationsgesellschaft.
DieAussagen vonAli Kizilkayawerdenunverständlicherweise inden
übrigenTextenausgeblendet: diekopftuchtragendeLehrerinalsZeichen
der modernen Emanzipation, die institutionelle Diskriminierung, die
DeutungdesKopftuchs imGegensatzzum tatsächlichenVerhaltenseiner
Trägerinund letztlich rassistische Strukturen.
René Breiwe, Merve Yavuz
Betroffene zuWort kommen lassen!
LeiderwarendieBeiträge zum „KonfliktstoffKopftuch“eherbekannte
Statements und klassische Bekenntnisse als ernsthafte Auseinander-
setzung oder Anregungen zum Denken. Der Fakt ist doch klar: Das
BundesverfassungsgerichthatdasKopftuchverbotdesSchulgesetzes für
nicht verfassungskonform erklärt. Also muss das Verbot raus aus dem
SchulgesetzNRW.Punkt.ErnsthaftkannmanalsGewerkschaftauchkeine
RegelungenzurFiktion„StörungdesSchulfriedens“einfordern. Interessant
wäre es, die Ansichten von Betroffenen zu lesen. In der taz haben zum
Beispiel jungeMuslimInnen, die bewusst das Kopftuch tragen, einfach
erzählt –darunter aucheineKollegin, die sichalsGymnasiallehrerin im
Sinne der „GEW-Bekennerstatements“ politisch korrekt verhält: Vor der
Schulenimmt siedasKopftuchabund istdamit imSinnederMehrheits-
gesellschaft eine guteMuslimin. Was sagt es über unsere Gesellschaft
aus, wenn diese Kollegin berichtet, dass sie diese Zeit ohne Kopftuch
als „rassismusfreieste Zeit ihres Lebens“ erfährt?
VolkerMaibaum
DasGebot desKopftuchs ist konservativundautoritär
AliKizilkaya,Vorsitzenderdes Islamrates,behauptet inseinemBeitrag,
das Kopftuch sei eine Bereicherung für die Schule. Zur Begründung
zeichnet er einBild des Schulalltags, in dem dieDiskriminierungmusli-
mischer SchülerInnendurchdie Lehrkräfteauf der Tagesordnung stehe:
„SchülerinnenmitKopftuchwurdenvonLehrerInnenmassivunterDruck
gesetzt.“ Erst die kopftuchtragende Kollegin gewährleiste Integration,
TeilhabeundReligionsfreiheit fürmuslimischeKinder. Außerdemunter-
stellter, dassunsdieBildungserfolgemuslimischerMädchenundFrauen
unerwünscht seien und Angst machten: „Solange muslimische Frauen
Schulen putzten, war das inOrdnung (...).“
HerrKizilkaya, bittenehmenSie zurKenntnis, dassdieunermüdlichen
schulischen Anstrengungen zur Förderung des Bildungserfolges und
zum Brückenbauen zwischen den Kulturen oft genug daran scheitern,
dasskonservativemuslimischeFamilien sichdiesenAnliegenversperren.
„Grundlegende Freiheiten von der Kleidung abhängig zu machen, ist
autoritär“, belehren Sie uns. Ja, das stimmt. Kleidungsvorschriften sind
autoritär. Genau deshalb erfährt das Kopftuchgebot, das nach Ihrer
Aussage einGebot des Islam sein soll, die berechtigte Ablehnung. Das
VerbotdesoffengetragenenHaares istkonservativundautoritär.Darum
gehört es nicht als Vorbild ins Klassenzimmer.
Ulrike Behrendt
Anmerkung der Redaktion: Wie verändert eine muslimische Lehrerin
Schulwirklichkeit, wenn sie ihr Kopftuch auch imUnterricht trägt? Wie
können Religionsfreiheit und die Gleichbehandlung der Religionen in
Schule gewährleistet werden? Ist das Kopftuch allein ein religiöses oder
auch einpolitisches Symbol?DasUrteil des Bundesverfassungsgerichts,
mit demdaspauschaleKopftuchverbot gekipptwurde, ruft eineVielzahl
an Perspektiven und Zugängen auf den Plan – auch innerhalb der GEW
NRW. DieBeiträge zum Titelthema „Urteilmit Folgen: KonfliktstoffKopf-
tuch“ (nds 4-2015) wie auch die Leserbriefe, die die Redaktion erreicht
haben, bilden einen Ausschnitt daraus ab. Die Bildungsgewerkschaft
diskutiert weiterhin schulpraktische Auswirkungen des Urteils sowie po-
litische Forderungen im Sinne einer rassismuskritischen Bildungsarbeit,
einer gelebten Religionsfreiheit für alle Konfessionen sowie eines gleich-
berechtigtenGeschlechterverhältnisses. Die nds begleitet dieDebatte.
Betr.: nds4-2015,
KonfliktstoffKopftuch
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LESERBRIEFE
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