nds20150607 - page 16

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bildung
Die Schulen sollen Selbstständigkeit und Eigenver-
antwortungwahrnehmenunddie besonderen Ziele,
Schwerpunkte undOrganisationsformen ihrer pädago-
gischenArbeit selbst festlegen – so fordert es Paragraf
3 Schulgesetz (SchulG). Denndie Einzelschulen sind
derMotor von Schulentwicklung. Ihre Erfahrungen
stehen imGegensatz zudiesen Einsichten: Sie sollen
nachvollziehen, was andere beauftragt haben.
Schule verwalten oder gestalten?
Ausnahmen bestätigen die Regel
Steuerung statt Selbstständigkeit
Wie Schulen in NRW die Steuerung durch
dasMinisteriumunddieSchulaufsichterleben,
entsprichtnochheutedem,wasdieDenkschrift
derBildungskommissionNRW1995beschrieben
hat: „Feststellbar ist eine Überregulierung im
Detail-undVerfahrensbereich,hinterderdievom
Gesetzgeber formulierten Zielvorgaben kaum
nochwahrgenommenwerdenkönnen.Nichtan
ihnenorientiert sich inder Regel dasHandeln
der Beteiligten, sondernander Kleinarbeitung
in Verordnungen, Erlassen, Verfügungen und
gegebenenfalls Einzelweisungen, deren fehler-
freie Beachtung sich in den Vordergrund der
Steuerungsbemühungen drängt.“
Schulen sollen Erwartungen erfüllen und
Aufträge umsetzen, ohne wesentlich auf die
Bedingungen Einfluss nehmen und selbst
Schwerpunkte setzen zu können. Die Folge:
Die Handlungsfähigkeit wird eingeschränkt,
Bildungs- und Erziehungsziele können nicht
glaubwürdig erreicht werden. Denn zur Mün-
digkeit führenkannnur,wer sich selbstmündig
verhalten kann.
Verwaltungs- und Interaktionssystem
Für denUmgangmit Vorschriftenmuss den
Schulen klar sein, dass sie sich in zwei sozialen
SystemenmitgegensätzlichenHandlungslogiken
bewegen (sieheTabelle). Siesindeinerseitseine
Behörde, die über Berechtigungen und Sank-
tionen entscheidet. Dabei sind die Form- und
Verfahrensvorschriften zwingend zubeachten.
Siebildenandererseits ein Interaktionssystem,
indemMenschenBeziehungengestalten,mit-
einander und voneinander lernen – und um
diesesKerngeschäft geht es inder Schule. Das
Verwaltungssystem hat demgegenüber nur
einedienendeFunktion (§2,Absatz1SchulG).
SchulaufsichtundSchulministeriumhingegen
bewegen sichnur in einemder beiden Systeme –
demVerwaltungssystem. Hierarchisch sind sie
den Schulenübergeordnet unddeshalb ist die
Gefahr derDominanzdesVerwaltungssystems
über das Interaktionssystem groß. Dann sind
Regeln wichtiger als Sinn, Fehlervermeidung
ist oberstes Gebot und das Funktionieren des
laufenden Betriebs hat Vorrang vor einer Weiter-
entwicklung, die nie fehler-, störungs- oder
konfliktfrei ablaufen kann. Gegenüber solchen
Übergriffen hilft nur, die Vorschriften auf ihren
Sinn und ihre Folgewirkungen hin zu überprüfen
undkreativmit ihnenumzugehen–unddaskann
auchheißen, Vorschriftennur formal korrekt zu
erledigen oder gar nicht zu beachten. Allerdings
bedeutet das Abweichen von Vorschriften nicht
Beliebigkeit, sondern erfordert die Bereitschaft,
dafür dannauchVerantwortung zuübernehmen.
VonVorschriftenabweichen
Wenn es möglich ist, können sich Schulen
vertraulichmit der Schulaufsicht beraten, um
Risiken bei der Abweichung von Vorschriften
besser einschätzen zu können. Sie können au-
ßerdem die Schulaufsicht gemäß Paragraf 35
Beamtenstatusgesetz (BeamtStG)beratenund
auf die schädlichen Folgen von Vorschriften
hinweisen oder gemäß Paragraf 36BeamtStG
remonstrieren, sodass die Verantwortung auf
die Schulaufsicht übergeht, wenn diese die
Beachtungder Vorschrift erzwingt. DieAbwei-
chungvonVorschriftenkannmithöherrangigen
Rechtsnormen (§§1und2SchulG) begründet
werden. Denn das Gesetz hat Vorrang vor der
Verordnungund somit hat zumBeispiel die in-
dividuelleFörderungVorrangvordenVorgaben
zur Leistungsbewertung, die ihrwidersprechen.
Zusätzlich macht es die Experimentierklausel
(§25SchulG)möglich,Abweichungenzubegrün-
den–dasbürokratischeGenehmigungsverfahren
sollte Schulen dabei nicht abschrecken.
Schulen sollten dafür sorgen, dass Abwei-
chungenvonVorschriftendurcheinenmöglichst
breitenKonsens inderSchulkonferenzgetragen
werden. Basisdafür istdieGrundüberzeugung:
Nicht das Beachten der Vorschriften, sondern
die Verantwortung für die Weiterentwicklung
der eigenen Schule und für die Menschen in
dieser Schule ist Grundlage für pädagogische
Wirksamkeit.
Adolf Bartz
Verwaltungssystem Interaktionssystem
Fokus: vollziehen
Fokus: lernen und entwickeln
Verantwortung für Regel­
beachtung
Verantwortung für das eigene
Handeln und dessen Folgen
situationsunabhängige
Regelgebundenheit der
Amtsführung
situativ passende kommuni-
kative Klärung
Regeln verhindernWillkür
normative Ziele undWerte
verhindernWillkür
VerbindlichkeitdurchVorschrift Verbindlichkeit durch Sinn
Fehler vermeiden
Fehler als Lernanlass
Hierarchie undWeisungs-
befugnis
Dialog undAbgleich von
Sichtweisen
Emotionen sind fernzuhalten Lernen ist emotionsbasiert
Loyalität durchRegel­
beachtung
Loyalität durchVertrauen
eindeutigeUrsache-Wir-
kungsbeziehung
systemischeWechsel-
wirkungen
direkte Steuerung und
Einflussnahme
indirekte Steuerung durch
Schaffen von Lernumge-
bungen
Struktur, Starrheit
Kultur, Lebendigkeit
Adolf Bartz
Schulleiter des Couven
Gymnasiums Aachen a.D.
Welten prallen aufeinander: Schule im Spannungsfeld
vonVerwaltung und Interaktion.
Foto: _jil_/ photocase.de
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