nds20150607 - page 19

19
nds 6/7-2015
Martin Fuchs
Politikberater für digitale
Kommunikation; Dozent für
Social Media und Politik; Gründer
von pluragraph.de, Blogger und
Kolumnist
HamburgerWahlbeobachter:
Beobachtungen, Hintergründe
undAnalysen aus der Politik und
dem Internet
pluragraph.de: Social-Media-
Analyse-Plattform
politik& kommunikation:
Deutschlands Fachportal für
politischeKommunikation
Nachgefragt
nds: Andreas, welche Rolle spielt Facebook für deine
Arbeit bei der GEW?
Andreas Keller:
Zum Beispiel hilft mir Facebook beim
Networking. Ein Vortrag an der Uni Passau, eine
Podiumsdiskussion beim DGB NRW in Düsseldorf, ein
Treffen der europäischen Bildungsgewerkschaften in
Brüssel – überall lerne ich unzählige KollegInnen ken-
nen. Häufig sind es flüchtige Begegnungen. Früher
wäre ichnurmit einemkonkretenAnliegenauf die Idee
gekommen, sie anzumailen oder gar anzurufen. Und
wären mir dann gleich ihre Namen eingefallen? Heut-
zutagewerden sie noch vor Ort oder auf der Rückfahrt
meine Facebook-„Freunde“. Und dann bleiben wir in
Verbindung. Irgendwie zumindest. Es entsteht der Ein-
druck, einiges voneinander mitzubekommen: Ich von
der Arbeit der Kollegin der schwedischen Hochschul-
gewerkschaft SULF oder vom Alltag des Postdoc an
Passauer Uni. Meine 1.500 FreundInnen von mir und
meinem GEW-Alltag – die kleinen Erfolgserlebnisse,
die großen Enttäuschungen, Absurditäten des Alltags.
Auch „breaking news“ erreichen mich oft am schnells-
ten übers soziale Netzwerk: direkt von JournalistInnen
undPolitikerInnen,mitdenen ichebenfalls vernetztbin.
Seit einem Jahr betreue ich die neu eingerichtete Face-
book-Seitedes TemplinerManifests. DasManifest kann
jetzt nicht nur online unterschrieben, sondern auch
„geliket“ werden. Wer das tut, erlebt tagtäglich haut-
nah die erfolgreiche GEW-Kampagne für den „Traum-
job Wissenschaft“: über Presseberichte, GEW-Stellung-
nahmen, Bildergaleriender letztenVeranstaltung.
WelcheTipps kannst duGEW-KollegInnengeben, die
noch zögern, auf Facebook aktiv zuwerden?
Zunächst habe ichnachwie vor Skrupel, jemanden zum
Mitmachen zu überreden. Facebook ist faszinierend,
aber auch unheimlich. Wenn dir Facebook gleich nach
der Erstanmeldung zehnNutzer vorschlägt, die du ken-
nen könntest, unddu kennst acht von ihnen, kannst du
erahnen, wieweit der ZugriffderDatenkrake reicht. Ge-
sunde Skepsis ist also angebracht. Wer Facebook nutzt,
sollte sichder Risikenbewusstwerdenund informieren,
wieman sich schützen kann.
Facebook kann dann aber ein wichtiges Instrument
guter Gewerkschaftspolitik sein. Entscheidend ist, die
Besonderheitendes neuenMediums zuerkunden. Face-
book funktioniert nichtwie eineMailing-Listeoder eine
Internetseite. Bei mir ist es die Verbindung politischer
Botschaftenmit einer persönlichenDuftmarke, die auf
großen Zuspruch stößt: Meine Facebook-FreundInnen
können gewissermaßen auf gewerkschaftspolitische
Tuchfühlungmitmir gehen.
Foto: trepavica/photocase.de
um die sexuelle Belästigung von Frauen rund
um das Hashtag #aufschrei im Jahr 2013 be­
wies. Youtuber mit Millionen Fans sind schon
lange eine Art eigenständige und mächtige
Sendeanstalt. Aber auch Twitterermit entspre-
chend großer Followerschaft oder NGOs mit
mobilisierbarer digitaler Community schaffen
es immer wieder, ihre Themen auf dieAgenda
zu setzen und so den politischen Diskurs in
ihrem Sinne zu beeinflussen. Ebenso werden
auch PolitikerInnen immer unabhängiger von
denklassischenmedialenGatekeepern.Einklug
formulierterTweet, einepassende Infografik im
richtigen Moment erreicht auch heute schon
durchviraleEffekteMillionenvonWählerInnen
direkt.
Theoretisch können also alle PolitikerInnen
ihreeigenenVerlegerwerden.Dafürmüssensie
aberoffenund reaktionsschnell sein, Sympathi-
santInnen mit kontinuierlicher Arbeit an sich
binden, dieBürgerInnenernst nehmen, Dialog
leben, exklusive Informationen indenNetzwer-
kenanbietenundnatürlichauch (zeitlicheund
kreative)Ressourcen fürSocialMediaeinplanen.
Ganz ohneAufwand geht es dann doch nicht.
ZwischendenWahlen spielt dieMusik
Die größten Potenziale für politische Kom-
munikation – und das on- wie offline – liegen
zwischendenWahlen. ImWahlkampfübertrum­
pfensichalleParteienmitAktionen,Bürgernähe
und reichhaltigen Informationen. Ist derWahl-
kampfdannvorbei,bekommenvieleBürgerInnen
meist nur noch wenig vom Politikgeschehen
mit. Hier sollten PolitikerInnen ansetzen, den
politischen Alltag erklären, aufzeigen, warum
bestimmteSachen längerdauern,wieeshinter
den politischenKulissen aussieht undwas die
EntscheidungsträgerInnenbewegt.Dazugehört
auch,abundandieMeinungenderBürgerInnen
abzufragen, undsie so indie täglichepolitische
Arbeit einzubinden. Direktere und einfachere
Meinungsforschung gibt es nicht.
DurcheinumfangreichesOnline-Monitoring
inForen, BlogsundSocialMediaerfahrenpoli-
tischeEntscheidungsträgerInnenzudem,welche
Themen die BürgerInnen aktuell interessieren,
wiesieüberbestimmteVorhabendenken,welche
Argumente die Diskussionen bestimmen und
wo gerade Kritik entsteht. Sowird esmöglich,
frühzeitigaufKritikerInnen zuzugehenund ihre
Argumente inderPolitikgestaltungaufzugreifen.
Bei allenPotenzialen, diepolitischeOnlinekom-
munikation bietet, bleibt aber zu bedenken:
Online äußert nur ein bestimmter Ausschnitt
derGesellschaft seineMeinung, ebensowichtig
bleibenanalogeDialogformate unddieaktive
EinbindungvongesellschaftlichenRandgruppen
mit geringemMobilisierungspotenzial.
Politikwirdauch innaher Zukunftweiter in
denetabliertenArenen, indenParlamentenund
denStrukturender repräsentativenDemokratie
stattfinden. Social Media ermöglicht es aber,
insbesondere junge Zielgruppen für Politik zu
begeistern, sie an Demokratie heranzuführen
und ihnen einen Kanal anzubieten, um auf
einfachemWeg mit PolitikerInnen in Kontakt
zu kommen. Diskussionen finden auch heute
schon täglichhundertfachauf Facebookseiten,
auf Twitter oder indenKommentarspaltender
Onlinemedien statt. PolitikerInnen sollten die
Chancenutzen, auchdortpräsent zu sein, denn
Meinungsbildung findet im Jahr 2015 sowohl
anlog als auch digital statt.
Martin Fuchs
Foto: K. Herschelmann
Dr. Andreas Keller
ist stellvertretender Vorsitzender der GEW. Seine Ar-
beit imVorstandsbereichHochschule und Forschung
kannman regelmäßig auf Facebook verfolgen.
1...,9,10,11,12,13,14,15,16,17,18 20,21,22,23,24,25,26,27,28,29,...40
Powered by FlippingBook