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nds 6/7-2015
Online-Protest ist natürlich nicht nur auf
nationaleThemenbeschränkt.Viele lokaleoder
regionale Initiativenversuchen,mitE-Petitionen
etwas zu verhindern, etwa Windkraftanlagen
in der Nachbarschaft. Diese Art von Petition
zieltnur seltenauf einegenerelleLösungeines
Problems ab, also zum Beispiel die Änderung
der Vorschriften für den Bau von Windkraft-
anlagen. Stattdessen soll nach dem „Not in
my Backyard“-Prinzip lediglich im konkreten
Einzelfall gehandelt werden.
Twitter und FacebookalsProtestform
E-Petitionen sindabernureinOnline-Protest-
mittel. ImmerwiedergibtesauchProtestwellen
auf Twitter oder Facebook. #Aufschrei hieß es
beispielsweise2013, nachdemeine Journalistin
über eine als übergriffig beschriebene Begeg-
nung mit dem FDP-Politiker Rainer Brüderle
berichtet hatte. In der erstenWoche nach der
Veröffentlichung gab es 49.000 Tweetsmit dem
Hashtag #Aufschrei, von denen viele eigene Er-
fahrungenmit Sexismus enthielten.DieseTweets
lösten eine bundesweite Debatte zum Thema
Sexismus aus. Kollektive Protestäußerungen wie
diesegibtes immerwieder.Dawerden spontan
Facebook-Gruppen gegründet oder es wird über
Twitter Öffentlichkeit für ein Thema geschaffen.
Doch Protestwellen im Netz werden auch
kritischgesehen:DasEngagementperMausklick
wirdvonKritikerInnengerneals „Slacktivism“–
als Faulpelzaktivismus – bezeichnet. Dahinter
steht die Annahme, dass Menschen sich nur
nochperMausklick und kaumnochdauerhaft
füreineSacheengagierenunddaherauchnicht
mehr für „aufwendigere“ProtestformenwieDe-
monstrationenmobilisieren lassen.Auchwenn
dieseAnnahme sichbisher nicht bestätigt hat,
sogibtesdochBeispiele, diezeigen,wieschwer
es ist, Menschen aus demNetz auf die Straße
zu bekommen. Das zeigt der Fall Karl-Theodor
zuGuttenberg. Während des Skandals um die
Plagiate in der Doktorarbeit des damaligen
Verteidigungsministers wurden auf Facebook
verschiedene Gruppen für und gegen Gutten-
berggegründet. Eine „ProGuttenberg“-Gruppe
konnteüber500.000UnterstützerInnen imNetz
vorweisen.Als jedochzu realenDemonstrationen
aufgerufenwurde, kam kaum jemand.
UnddieWirkung?
FürdenErfolgvonE-Petitionenundanderen
Online-Protestformensindvieleunterschiedliche
Faktoren entscheidend. Die Zahl der Unter-
stützerInnen ist vor allem von der öffentlichen
undmedialenAufmerksamkeit für die Petition
abhängig.EntsprechendkönnenauchPetitionen
ZumWeiterlesen
KathrinVoss:
Internet und Partizipation –
Bottom-up oder Top-down?
PolitischeBeteiligungsmöglich-
keiten im Internet.
Springer VS, 2014
ISBN: 978-3-658-01028-7
348 Seiten
49,99 Euro
Mit dem Internet wurde schon früh die Vision ei-
ner partizipativen Gesellschaft verbunden, die
Vorstellung, das neue Medium würde zu politisch
besser informierten BürgerInnen und zu mehr Be-
teiligung der BürgerInnen am politischen Prozess
führen. Doch ist das so? Wer beteiligt sich an E-
Partizipationsangeboten? Lassen sich Menschen
online mobilisieren? Welchen Einfluss haben die
neuen Online-Tools auf die politische Kommunika-
tion, politische Entscheidungen und das politische
System selbst?Dieser Bandbehandelt diese Fragen
aus unterschiedlichen Perspektiven, sowohl von der
zivilgesellschaftlichen Seite, also bottom-up, als
auch von Seiten der Politik, also top-down. Enthal-
ten sind Beiträge von WissenschaftlerInnen und
VertreterInnenausder Praxis, zivilgesellschaftlichen
Organisationen, der Politik und denMedien.
Dr. KathrinVoss
Politikwissenschaftlerin und
selbstständige Beraterin, spezia-
lisiert auf denNon-Profit-Bereich,
vonunbekanntenPrivatpersonenviel Zuspruch
bekommen,wennOrganisationenundMassen-
medien sie bekannt machen. Petitionen mit
hohemMobilisierungserfolg bleiben jedoch
eher die Ausnahme.
ZudemsagtdieZahlderUnterzeichnerInnen
keinesfalls etwas über denpolitischen Einfluss
desProtestesaus.Resonanz istnichtgleichzuset-
zenmit einer politischenWirkung. Studienaus
verschiedenenLändernzeigen,dassE-Petitionen
und andere onlinebasierte Protestformen von
der Politik zwar durchaus als Indikator für die
öffentliche Meinung angesehen werden. Der
Mausklick-AktivismuswirdvoneinigenPolitike-
rInnenaberauchkritischgesehenundebennicht
als tatsächlichesEngagementwahrgenommen.
Außerdem ist fürPolitikerInnennicht immerklar
zuerkennen,welche Interessenonlinevonwem
vertretenwerdenundobdieBeteiligungszahlen
nicht manipuliert sind. Schließlich ist meist
nicht mehr als eine E-Mail-Adresse notwendig,
um sich zubeteiligen.Darüberhinaus führtdie
zunehmende Zahl dieser Protestformen dazu,
dass einzelne Anliegen weniger wahrgenom-
menwerden.
DasNetz bietet vieleMöglichkeiten für poli-
tischen Protest. Neben den großen politischen
OrganisationenbietenvorallemoffenePortale,
aber auch Soziale Netzwerke viele Chancen,
sich für Themen einzusetzen, sich online zu
organisieren und Menschen zu mobilisieren.
BeiderVielzahl vonOrganisationenundEinzel-
personen, die inzwischen diese Protestformen
nutzen, besteht allerdings dieGefahr, dass die
damit verknüpften Botschaften in der Masse
der Petitionen, Tweets und Facebook-Gruppen
untergehen.
KathrinVoss
E-PetitionenbeimBundestag
MoveOn.org: US-amerikanische
Kampagnenorganisation
Campact.de: deutscheKampa-
gnen-organisation
Avaaz.org: weltweit operierende
Kampagnenorganisation
Change.org: offeneweltweit tätige
Petitionsplattform
Openpetition.de: offene deutsche
Petitionsplattform
Foto: behrendt.video/photocase.de
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