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bildung
Es ist die Stadt der Bunker undRaketen: 1951wurde Sderot im
südlichen Israel gerade einmal einenKilometer vomGazastreifen
entfernt gegründet. Seit fast 15 Jahrenwirddie Stadt sowohl in
Kriegs- als auch in Friedenszeitenbeschossen. Pünktlich zur israe-
lischenUnabhänigigkeitsfeier am23. April 2015 kamendie ersten
Raketen seit Beginnder unbefristetenWaffenruhe zwischender
radikalislamischenHamas und Israel im vorigenAugust.
DGBNRW zuGast in Sderot
Vergessen vomRest derWelt
KeinedreiWochen später, imMai 2015, be-
sucht die Fachkräftedelegation des DGBNRW
zusammenmitMartinaWichmann-Bruche, So-
zialattachée der deutschenBotschaft in Israel,
die im Süden Israels gelegene Stadt. Multipli-
katorInnen und EhrenamtlerInnen von ver.di,
GEW, NGGundEVG sind indiesem Jahr dabei.
In Sderot empfängt uns Noam Bedein. Er ist
der Direktor der Nichtregierungsorganisation
SderotMediaCenter, die sich zum Ziel gesetzt
hat,denEinwohnerInnenSderotseineStimmezu
geben,dasievondermedialenBerichterstattung
weitestgehend ausgeschlossen sind.
Leben inder Raketenstadt
Was bedeutet es für die 24.000 Einwohne-
rInnenSderots, seitbald15JahrenunterRaketen-
beschusszustehen?DieFakten lassenallenfalls
erahnen,wiesichdasLebenhiergestalten lässt.
„Seit 2005 sind 24.000 Kassam-Raketen von
unterschiedlichen terroristischen Gruppen aus
demGaza-Streifenabgefeuertworden“, erzählt
Noam.DasergibteinenungefährenSchnittvon
6,7RaketenangriffenproTag.Sderotwird jedoch
nichtnurwegen seinerNähe zumGaza-Streifen
beschossen, sondernauch,weil es sichumeine
Vorstadt handelt, in der vor allem die arbei-
tende Klasse lebt. Dasmacht Sderot zu einem
einfachen Ziel für die TerroristInnen. „Zudem
betrachten die Palästinenser alle israelischen
Städte indenGrenzen von1948und1967als
Siedlung“, erklärt der Direktor.
Wenn es zu einemAngriff kommt, ertönt in
denStraßendasSignal „ZevaAdom“–hebräisch
für „Farbe Rot“ – und in 90 Prozent der Fälle
kommt das israelische Raketenabwehrsystem
Iron Dome erfolgreich zum Einsatz. Es wird
erst seit 2010 genutzt und bringt die Kassam-
Raketen in der Luft zur Detonation, damit sie
keine zivilen Ziele treffen können. Sobald der
Alarm ertönt, hat man in Sderot 15 Sekunden
Zeit, sich inSicherheit zubringen. Ein Leben in
ständiger Alarmbereitschaft – es verwundert
nicht, dass 94 Prozent aller Kinder in Sderot
aneinerPosttraumatischenBelastungsstörung
leiden, einer psychischen Erkrankung, die vor
allem SoldatInnen nach dem Kriegseinsatz
attestiert wird.
EineSekundewie eineStunde
Wiewärees,wenneinenordrhein-westfälische
Kleinstadt immer wieder von einemNachbar-
staat aus beschossen würde? Eine Erfahrung,
die die Vorstellungskraft übersteigt. Dennis
Dacke von ver.di verbrachtedenSommer 2014
in Israel. Er erinnert sichandas Shabbat-Essen
inAshkelon, bei dem er einemRakatenangriff
ausgeliefertwar: „Ichdachte indiesemMoment
nur: Schafft der IronDomediesenAngriff?Das
System hat nicht viel Zeit und jede Sekunde
vergingwieeineStunde.“Dennishabendiese20
Minutengeprägt: „DieRed-Alert-App lieferte
immer neueMeldungen für dieRegion. Immer
wiedergabesnurdiese zeitgleichvibrierenden
Handys und den Schall der Sirene draußen.“
AuchHilaKarmi vomDachverbandder israe-
lischenGewerkschaftenHistadrutberichtet,dass
sie noch heute erschrickt, wenn einMotorrad
neben ihr startet. Und Avital Shapira, Leiterin
der internationalen Abteilung der Histadrut,
erzähltvom50-tägigenKrieg imSommer2014:
„BesondersschlimmwardasLeben inständiger
Angst, da jederzeit mit einem Raketenangriff
zu rechnenwar.“ Avital zeigt sich jedoch auch
solidarisch mit den Menschen im Gazastrei-
fen. „Gerade als Mutter fühle ich nicht nur
denSchmerzmeiner Kinder, sondernauchden
SchmerzderMütter imGazastreifen. Sie zahlen
dieKostendafür, dass sie unter einer brutalen
Diktatur leben,diesichzumZielgesetzthat,den
Staat Israel auszulöschen.“Noam erklärt, dass
inTelAviv,woHilaundAvital leben, vor einem
Beschuss immerhin90Sekunden zumFlüchten
bleiben. „ZudemwirdTelAvivals strategisches
Ziel nurwährendeinesKonfliktesangegriffen.“
Ein schwacher Trost. In Israel leben über acht
InmeterlangenRegalen lagern die Raketentrümmer (o.) –manchmal werden sie zu etwas Positivem verarbeitet.
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