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nds 6/7-2015
AbuTalhaal-Almani kämpftdergebürtigeBer-
liner seit einigen Jahren inSyrienunddem Irak
indenReihendes IslamischenStaatesundver-
herrlichtdiedortigenGräueltatenalsgerechten
Kampf gegen die Ungläubigen. Das Foto, das
vonder jungenFraugepostetwurde, zeigtAbu
Talha al-Almani beimGebet in Kampfmontur,
versehen mit dem Satz: „Manchmal bringen
Menschenmitder schlechtestenVergangenheit
die beste Zukunft hervor.“
Umso wichtiger ist es, junge MuslimInnen
in ihrem Selbstverständnis als Teil unserer
Gesellschaft zu bestärken: Deutschland muss
attraktiverseinalsdasAngebot,dassalafistische
Initiativen – oder im Extremfall der Islamische
Staat – Jugendlichenmachen kann.
Halt undOrientierung indeutsch-
muslimischen Lebenswelten schaffen
NebendemHinweisauf konkreteAngebote,
wieman sichgegenDiskriminierungenundAn-
feindungen inSchule, Berufslebenoder Freizeit
wehren kann, geht es in der Bildungsarbeit
daher vor allem auch darum, die Normalität
deutschmuslimischer Lebenswelten herauszu­
stellen. ImGesprächmit Jugendlichenzeigtsich,
wie wichtig vielen jungenMuslimInnen dabei
auch die Auseinandersetzung mit religiösen
Fragen ist, die sich ihnen imAlltag stellen, auf
die sie aber weder im persönlichen Umfeld,
noch in der Schule zufriedenstellende Antwor­
tenfinden. „Darf ichalsMuslimIneigentlichan
derWeihnachtsfeier inderSchule teilnehmen?“,
„Wie istdasmitderEvolutionslehre imBiounter-
richt?“oder „Muss ichbeimSchwimmunterricht
mitmachen?“ – für diese und ähnliche Fragen
suchenJugendlichenachAntwortenund landen
bei ihrer Suche schnell bei „SheikhGoogle“.
InDiskussionenaufFacebookund inanderen
SozialenNetzwerkennehmendieseFragenbrei-
tenRaumein.Auffallend istdieDeutungshoheit,
dieAngeboteausdem salafistischenSpektrum
im Internet inden letzten Jahrenerlangthaben.
BisheutebeschränkensichdieOnlineangebote
der größeren islamischenVerbände auf einige
wenige Webseiten, die kaum auf jugendliche
Zielgruppen ausgerichtet sind. Entsprechend
eingeschränkt ist das Meinungsspektrum, das
in Diskussionen in Sozialen Netzwerken und
OnlineforenzuWortkommt.Mitbiszu100.000
Facebook-Fans prägen Seiten wie „Die Wahre
Religion“ oder „PierreVogel.de“ die Debatten,
die sich hier entwickeln.
Alternative Zugänge zu diesen Fragen bie-
ten sich nicht nur im islamischen Religions-
unterricht, in dem sich bekenntnisorientierte
Antworten formulieren lassen. Ebensowichtig
sind lebensweltorientierte Zugänge, die den
WunschnachOrientierungundHaltaufgreifen
und Perspektiven jenseits von Theologie und
Glaubenaufzeigen.Gerade inLerngruppenmit
Jugendlichen unterschiedlicher Herkunft und
Religionszugehörigkeit lassensichan religiösen
FragenallgemeineethischeThemendiskutieren,
die das Zusammenleben in einer vielfältigen
Gesellschaft betreffen. Zum Beispiel, wenn es
umMitbestimmungundTeilhabegeht. „Darf ich
als MuslimIn eigentlichwählen?“, diese Frage
stellt sich manchen Jugendlichen im Vorfeld
von Landtags- oder Bundestagswahlen. Von
salafistischenKommentarenwird siemiteinem
klaren „Nein!“ beantwortet.
Andere Positionen, wie sie auch von renom-
mierten islamischenWissenschaftlerInnenwie
demProfessor für islamischeReligionspädagogik
Bülent Ucar vertreten werden, werden hier in
der Regel kaum sichtbar. Die Teilnahme an
politischen Entscheidungsprozessen ist für ihn
selbstverständlich–undauchmitBlickaufeine
Vertretungder InteressenvonMuslimInnengebo-
ten.DieMöglichkeit, dieGesellschaftaktivmit-
zugestalten, bietet schließlichauchdieChance,
eigene InteressenundSichtweiseneinzubringen.
Dabei kannes inderBildungsarbeitmit jungen
MuslimInnennichtdarumgehen,entsprechende
Positionenals „richtig“oder „islamischkorrekt“
darzustellen. Wichtig ist, sie für Jugendliche
überhaupt als Teil eines breiten islamischen
Meinungsspektrums sichtbar zu machen. Die
Begegnungmit innerislamischer Diversität ist
dabei auch eine Formdes Empowerments, das
Jugendliche für salafistischeWeltbilder sensibi-
lisiertund ihnenMöglichkeitenaufzeigt, eigene
Fragen zu diskutieren und eigene Interessen
gegenüberMuslimInnenwieNichtmuslimInnen
zu vertreten.
Götz Nordbruch
Dr. GötzNordbruch
Islamwissenschaftler undCo-
Vorsitzender des Vereins ufuq.de –
Jugendkultur, Islamundpolitische
Bildung
ufuq.de
PolitischeBildungmit jungenMuslimInnen
Der Verein ufuq.de engagiert sich seit 2007 in der
politischen Bildung mit jungen MuslimInnen und
entwickelt Ansätzeder Prävention vondemokratie-
und freiheitsfeindlichenEinstellungen.Dabei spielt
dieAuseinandersetzungmit Diskriminierungs- und
Entfremdungserfahrungen einewichtigeRolle.
Ein Schwerpunkt der Arbeit besteht in der Durchfüh-
rung von Workshops in Schulen und Jugendeinrich-
tungen, indenendieThemen Islam, Islamfeindlichkeit
und Islamismus angesprochen werden. Angeleitet
werden diese Workshops von jungen muslimischen
TeamerInnen, die als peers eigene Erfahrungen und
Perspektiven einbringen. Für viele Jugendliche bieten
diese Workshops erstmals die Gelegenheit, über für
sie alltägliche Fragen zu diskutieren undHandlungs-
perspektiven als Deutsche und als MuslimInnen zu
entwickeln. DamitwerdenEinseitigkeitenundVerkür-
zungen, wie sie beispielsweise von Salafisten gerade
in religiösen Fragen vertretenwerden, aufgezeigt und
alternativeHerangehensweisen „denkbar“.
DiesenAnsatz verfolgt auchdas Projekt „Was postest
Du? Politische Bildung mit jungen MuslimInnen on-
line“, bei dem sich junge TeamerInnen insbesondere
auf Facebook inDiskussionenunterMuslimInnenein-
bringen. Ziel ist es auch hier, der Deutungshoheit ge-
rade salafistischer Akteure in sozialenMedien etwas
entgegenzusetzen und eine weitverbreitete Opfer­
ideologie („InDeutschlandwerden alleMuslimInnen
diskriminiert!“, „Es geht um einen Kampf zwischen
MuslimInnen und Ungläubigen!“) mit konkreten Bei-
spielen vonHandlungsoptionenund Erfolgsgeschich-
ten von MuslimInnen in Deutschland zu erwidern.
Die Erfahrungen aus der Projektarbeit fließen direkt
ein in Fortbildungen, die ufug.de für Lehrkräfte und
SozialarbeiterInnen inden Themen Islam, Islamfeind-
lichkeit und Islamismus anbietet.
Foto: muffinmaker/ istockphoto.com
ufuq.de: Jugendkultur, Medien
undpolitischeBildung inder
Einwanderungsgesellschaft
ufuq.de: Filmpaket „Wiewollenwir
leben?“ für den Schulunterricht
Landeszentrale für politische
BildungNordrhein-Westfalen:
Zwischen Islamund Islamismus!?
Lebenswelten jungerMuslimInnen
.
Eine Informationsreihe für Lehr-
undpädagogische Fachkräfte.
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