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bildung
Schulische Präventiongegen salafistischeWerbeversuche
Aufgreifen,
waswirklich bewegt
„Je suis Muslim!“ Die Reaktionen auf die
Anschläge inParis, dieAnfang Januar 2015 in
sozialenNetzengepostetwurden, boten einen
gutenEinblick ineineweitverbreiteteStimmung
unter muslimischen Jugendlichen. Angesichts
der großen internationalen Empörung, die die
Anschläge auslösten, und der wiederholten
Appelle, MuslimInnenmögen sich vonGewalt
und Terror distanzieren, entschieden sich viele
Jugendliche für ein trotziges Bekenntnis zum
Islam. „Jetzterst recht“– soklangendieseKom-
mentare, in die sich oft auch ein Gefühl von
Stolzmischte.
Reaktionenwiediesegebeneinevon jungen
MuslimInnenoftgeäußerteKritikwieder, inder
Öffentlichkeit mit eigenen Erfahrungen und
Interessen kaumGehör zufinden. Sobeklagen
gerade arabischstämmige Jugendliche, dass
die Konflikte im Nahen Osten und die Rolle
Europas oder derUSA indendortigenKriegen
zumBeispiel imSchulunterrichtkaumangespro-
chenwürden. „Unsere LehrerInnenwollenmit
uns immerüberdenNationalsozialismus reden,
aber über Rassismus redet niemand!“
Aufgreifen, wasmuslimische
Jugendlichebeschäftigt
In der Propaganda salafistischer Initiativen
werdendieseWahrnehmungengezieltaufgegrif-
fen. AnfeindungenvonFrauenmitKopftuch in
derU-Bahn, antimuslimischeSchmierereienan
Gemeindezentrenoder diePegida-Aufmärsche
– all dies werde von der Öffentlichkeit igno-
riert, heißt es auf zahllosenWebseiten dieses
Spektrums, weshalb sie hier umso mehr Platz
einnehmen.
Foto: luxuz::./photocase.de
Umso wichtiger ist es, entsprechenden
Erfahrungen mit Diskriminierungen und Be-
nachteiligungen auch im schulischen Kontext
Raum zugeben – geradeweil sie zumBeispiel
in Schulbüchern in der Regel nur am Rande
eineRolle spielen. So erscheinenMuslimInnen
und Menschen mit Migrationsgeschichte hier
oft vor allem als Verursacher von Konflikten,
während Ausgrenzung und Rassismus seitens
derMehrheitsgesellschaft in der Regel nur als
historisches Problem beschriebenwerden.
SchondieBereitschaft, entsprechendeErfah-
rungen imUnterricht zu thematisieren,wirdvon
vielen JugendlichenalsAnerkennungdafürbe-
schrieben,dassauch ihreSichtweisenundSorgen
einenPlatzhaben.Die inhaltlicheDiskussion ist
dann erst der zweite Schritt, in dem sich auch
immer wieder angestellte Vergleiche mit den
Juden inden1930er Jahrenhinterfragen lassen.
Dennauchdies isteinwichtigesArgumentations-
muster,dasvonsalafistischenAkteurenbedient
wird:DenMuslimInnendrohe inDeutschlandein
Holocaust, heißt es inVideos aus demUmfeld
des salafistischen Predigers Pierre Vogel. Die
Judenvernichtung wird hier nicht geleugnet,
sonderndientalsKulisse,umdieOpferideologie
zubefördern. „StoppHetzegegenMuslime“ ist
einVideoaufYoutubeüberschrieben,das inder
GedenkstättedesKonzentrationslagersDachau
aufgenommenwurde.
Mit der Wirklichkeit der MuslimInnen in
Deutschland – und der Selbstverständlichkeit,
mit der sich die allermeisten von ihnen als
BürgerInnendesLandes sehen–hatdiesnichts
tun. Dennoch bieten diese Darstellungen ei-
nen vermeintlichen Ausweg, ummit eigenen
Erfahrungen von Fremdheit umzugehen. Das
Gefühl von Fremdsein, so lautet ein beliebtes
Argument salafistischer Kommentatoren, sei
schließlich nicht neu. Schon der Prophet habe
im siebten Jahrhundertwegen seinesGlaubens
AusgrenzungenundAnfeindungenerlebt–und
sei zusammen mit seiner Gemeinde siegreich
aus dem Kampf gegen die Ungläubigen her-
vorgegangen.
DasVersprechen von sozialemAufstieg
undGerechtigkeit
DerRückzugaufden Islamerscheint indieser
Logik auch für junge MuslimInnen heute als
einziger Ausweg. Nicht zufällig spielengerade
in der dschihadistischen Propaganda Verspre-
chen vonGerechtigkeit und sozialemAufstieg
ineiner vermeintlichwahrhaft islamischenGe-
sellschaft eine wichtige Rolle. So kursiert in
sozialenNetzwerken das Foto eines gefaketen
Reisepasses, der angeblich vom Islamischen
Staat herausgegeben werde. Die Verbreitung
des Bildes verweist auf den Reiz, den das Ver-
sprecheneinerneuen Identitätunddamitauch
vonZugehörigkeit undTeilhabe ineiner neuen
GesellschaftaufmancheJugendlicheausstrahlt
– zumal es dabei umeineGesellschaft geht, in
der der Islam vermeintlich authentisch gelebt
wird.Der IslamischeStaat stehtausdieserSicht
nicht fürGewaltundTotschlag, sondern füreine
gerechte Gesellschaft, an deren Aufbau man
sich heute noch beteiligen kann.
WiewirkungsvolldieseVorstellung ist,wird in
einemPosteiner jungenMusliminaufFacebook
deutlich, der einFotodesehemaligenGangsta-
Rappers Deso Dogg zeigt. Unter demNamen
In einer Gesellschaft, inder die eigenen Interessen kaum
Gehör findenundRassismuserfahrungen ander Tages-
ordnung sind, entscheiden sich viele jungeMuslimInnen
für denRückzug auf ihreReligion. Eine Leerstelle, an
die fundamenatlistische Strömungennur allzu leicht
anknüpfen.Welche ThemenundVersprechen sind es,
mit denen salafistische Initiativen jungeMuslimInnen in
Deutschland locken?Undwas kannBildungsarbeit dem
entgegensetzen?
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