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Thema
ReinäußerlichhatdieGemeinschafts-
hauptschuleKirschhecke inMönchen-
gladbachwenigmitbekanntenBrenn-
punktschulengemein.Das funktionale
Gebäude liegt abseits der Straße im
Grünen. Dochauchhier trifft die sozi-
aleWirklichkeitaufundurchdringliche
Bürokratiehürden und definiert den
Schulalltag.
Gemeinsam lernen ander GemeinschaftshauptschuleKirschhecke
Haupt(-sache) Schule
Wenn Sandra Steinhauer mit Labradoodle-
Hündin Nala in die Schule kommt, fegen die
SchülerInnen freiwilligdieKlasse, damit es sich
der Hund auf dem Boden gemütlich machen
kann.Wennnötig,gehtdieSonderpädagoginmit
derZusatzausbildung für tiergestützteTherapien
auch einzeln mit den SchülerInnen spazieren.
In Gegenwart des Hundes öffnen sich die Kin-
der leichter: „Nala fungiert als Eisbrecher und
Spiegel“, sagt die Lehrerin. Sandra Steinhauer
ist an dieHauptschule abgeordnet worden. So
geht es denmeisten SonderpädagogInnen, oft
sind sie nur ein Jahr hier.
Bürokratiehält auf
An der Schule lernen neben Hauptschüle-
rInnenauchFörderschülerInnen,Kinder,diekein
Deutsch sprechen, und SeiteneinsteigerInnen
aus anderen Schulformen gemeinsam. „Die
Hintergründe fürdieSchwierigkeitenderKinder
sind oft schwerwiegend“, erzählt Sozialarbei-
terin Cornelia Ostendarp. Alkoholismus oder
SuchteinesElternteils,Armutoder traumatische
Fluchtbiografien. Die Sozialarbeiterin ist seit
zwölf Jahrenander Schule. „Ichbin inder kom-
fortablenSituation, hier selbstständigarbeiten
zukönnenundnichtVertretungsunterrichtoder
Aufsicht machen zu müssen.“ Trotzdem fehlt
es an vielem.
DasBildungs- undTeilhabepaket sicherthier
noch jedemKind, dessenElternGrundsicherung
beziehen, ein teilfinanziertes Schulessen für
nur einen Euro pro Tag zu. Alle drei Monate
muss dafür ein neues Formular ausgefüllt wer-
den. Dazu sind die meisten Erziehungsberech-
tigtennicht inder Lage. „WirwollendenEltern
die Verantwortung nicht abnehmen, aber wir
sehen, dass hier viele Kinder Hunger haben.“
Das Kirschhecke-Team möchte sich intensiv
um die Kinder kümmern. Jedes Formular mehr
hält sie davon ab. „Wir würden uns wünschen,
das Geld selbst verwalten zu dürfen“.
Cool&Fair durchs Leben
In jeder fünftenKlassebietetCorneliaOsten-
darpdasSozialtraining „Cool&Fair“an.Auch in
der5a. „Hiergibtes sehr vielemassiveProblem-
fälle.“Dennoch ist dieKlasse keineAusnahme.
Das Thema der Woche lautet: Beleidigungen.
Davor gibt es eine Befindlichkeitsrunde. La-
minierte Smileys werden herumgereicht. Für
Klassenlehrerin Judith Fathi war die Woche
bisher wuselig und anstrengend. Robin lobt
die Zusammenarbeit unter den SchülerInnen.
Leonard (Name ist vonderRedaktiongeändert)
muss fünf Minuten vor die Tür. Respekt heißt
auch, andere Menschen ausreden zu lassen.
Fatima will nicht reden, es gehe ihr aber gut.
Jasminmochte dieWoche, weil es leise in der
Klassewar. Leonard darf wieder reinkommen.
Auf dem Boden liegen Karten, darauf ste-
hen sehr „erwachsene“ Schimpfwörter. Die
Bedeutung dieser Worte ist den meisten Kin-
dern unklar. Fridolin, der Redebär, zieht seine
Kreise. Wer ihn hat, darf sprechen. Das Wort
„Behindert“ ist dran. Was ist eine Behinde-
rung? Sind Menschen mit einer Behinderung
weniger wert? Jetzt braucht Fatima eine Aus-
zeit. Es ist ihr nicht möglich, ruhig am Unter-
richt teilzunehmen.
Leonard erklärt das Wort Alzheimer. Judith
Fathi bezeichnet ihn liebevoll als ihr Lexikon
und erzählt, wiewenig Fürsorge der Junge von
seiner alleinerziehenden Mutter erhält. Dafür
steht in jedemRaumder Fünfzimmer-Wohnung
ein PC. Vor einem von denen sitzt Leonard
ständig. Die Lehrerinnen versuchen zu helfen,
schalten sogar eine Psychologin ein. Der Junge
ist nicht der einzige Schüler, der intensiver be-
treut werden müsste. Sie fühlen sich mit den
vielen ProblemschülerInnen allein gelassen.
Verantwortung lernen
Kenny ist inderneuntenKlasseundseit zwei
JahrenbeimbuddY-Projektdabei. Erbezeichnet
dieAufgabealsseinenNebenjob.Erundandere
ältere SchülerInnen spielenmit den Jüngeren
JengaoderBlack Jack, siehelfenaber auchbei
Problemen und vermitteln bei Streitigkeiten.
Er weiß, dass es manchmal einfacher ist, von
SchülerInzuSchülerInzusprechen.Es istMittags-
zeit. EinigeKinder spielen konzentriert, andere
ausgelassen.EinMädchenschmiertSalami-und
Marmeladenbrote. SiefindenAbsatz.Nurdurch
Spenden ist es möglich, die Lebensmittel zu
finanzieren.
Cornelia Ostendarp macht mich auf dem
Schulhofmit SuvdausderMongolei undAlma
ausAlbanienbekannt. „Wie langebistduschon
bei uns,Alma?“, fragt siedas schüchterneMäd-
chenundstreicht ihr liebevoll eineHaarsträhne
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