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ieWilly-Brandt-Schule inMülheim an der Ruhr hat sich
vor einiger Zeit auf denWeg gemacht, die eigenen Schul-
regeln zu revidieren und weiterzuentwickeln. In diesen
Prozess wurden Eltern, SchülerInnen und das Kollegi-
um gleichermaßen einbezogen. „Unsere Schule existiert
schon seit über 25 Jahren und so wurde es Zeit, unser
Regelwerk grundlegend zu überarbeiten und den heuti-
gen Ansprüchen anzupassen“, sagt die Schulleiterin der
StädtischenGesamtschule Ingrid Lürig.
I
mmer wieder kam es zu Missverständnissen und Un-
klarheiten in der Interaktion und im Umgang mit dem
schulinternen Regelwerk. Interessen von SchülerInnen
und Ansprüche der unterrichtenden KollegInnen prallten
aufeinander und sorgten für unnötigenKonfliktstoff. Eine
umfassendeRevision stand an. Einbesonderer Fokus kris-
tallisierte sich in der Diskussion heraus: Wie kleidet man
sichangemessen inder Schule?Hier standenvorallem im-
mer wieder Irritationen imVordergrund, die für Zündstoff
sorgten. Nicht nur innerhalb der Schule, sondern auch zu
Hause bei den SchülerInnen führte das Thema Kleidung
regelmäßig zu intensivem Gesprächsbedarf. Ist die Hose
zu kurz, derAusschnitt zu tief, der Trainingsanzug zu leger
oder der Aufdruck auf dem T-Shirt zu provokativ?
Kleidungsfrage? Schwierige Frage!
„M
ir ginges schlichtwegauf dieNerven, dass ichmichals
Lehrer ständig rechtfertigenmusste, wennKevinmal wie-
der in seiner schlabbrigen Jogginghose zur Schule kam“,
erzählt ein damals gestresster Kollege. „Der Schüler sah
es überhaupt nicht ein, dass er sich in der Schule anders
zu kleiden hat, als würde er abends gemütlich auf der
Joggingbuxe, Leggings,Minirock – übermoderneKleidung lässt es
sich langediskutieren. Dochwas gilt als angemessen inder Schule?
DieWilly-Brandt-Schule inMülheimander Ruhrmacht‘s vor.
Couch liegen“, so der Kollege weiter. „Das war kein Ein-
zelfall“, erklärt Schulleiterin Ingrid Lürig. „Immer wieder
standenKollegInnenbeimir imBüro, die sichdarüber be-
klagten, dass SchülerInnen unpassend gekleidet waren.“
A
berwas ist eigentlichunpassendeKleidung für dieSchu-
le?Diese Fragewurde inWorkshops undKonferenzenum-
fassend diskutiert. Die kontroversen Seitenwaren schnell
klar: Zum einen sollen sich SchülerInnen frei entfalten,
ihreMeinung sagenund ihrpersönlichesProfil entwickeln,
zumanderen sollen vonder Schuleklare Linienaufgezeigt
werden: Der Klassenraum istweder einFitnessstudionoch
der Strand vonMallorca.
Die Lösung: eineKleidungspräambel
Z
wischen diesen Kontroversen wurde der Konsens in der
Kleidungsordnung der Willy-Brandt-Schule gesucht und
gefunden: „Unsere Schule ist ein öffentlicher Ort und da-
her haben wir grundsätzlich alle das Recht, frei über die
Wahl unserer Kleidung zu entscheiden. Wichtig bei der
Auswahl ist, dass wir niemand anderen damit irritieren“,
lautet ein Auszug aus der Schulordnung. Zu dieser „Klei-
dungspräambel“ sind Zeichnungen mit Empfehlungen
entwickelt worden, die allen die Kleidungswahl erleich-
tern sollen.
D
er Prozess der Revision kostete Zeit, Kraft und vor allem
Arbeit. In allen Beteiligungsbereichen der Schule fand
eine fast gleiche Arbeitsstruktur statt: Sowohl im Kolle-
gium und in der Elternpflegschaft als auch in der Schü-
lerInnenvertretung wurden Analysen durchgeführt, um
herauszufinden, welche Schulregeln sinnvoll beziehungs-
weise redundant sind und welche hinzukommen bezie-
hungsweise erweitert werdenmüssten. InWorkshops und
Konferenzen wurden Vorschläge erarbeitet und dann in
einer Steuerungsgruppe zusammengetragen. Neben der
Revision des Regelwerks sollte dieses vor allem richtig
vermittelt und die Akzeptanz dafür bei allen Beteiligten
verstärkt werden.
Entscheidungshilfe vor demKleiderschrank
„A
mAnfang fand ich es nicht so toll, dass die Schulemir
vorschreibt, was ich anzuziehen habe“, sagt eine Schüle-
rin der neunten Jahrgangsstufe. „Inzwischen merke ich
aber, dassmir dieEntscheidungmorgens vor demKleider-
schrank erleichtertwird. Ganz bestimmteKleidungsstücke
lasse ich einfach links liegen, die haben in der Schule
nichts zu suchen.“Die Schulgemeindehat sichdarauf ver-
ständigt, dass es sich nicht um eine Kleidungsvorschrift
handelt, sondern um eine Handreichung und Entschei-
dungshilfe. „Natürlich dürfen Schülerinnen bei uns Leg-
gings tragen. Allerdings nur, wenn sie darüber eine kurze
Hose oder ein langes Oberteil anziehen“, erklärt Ingrid
Lürig. „Es geht nicht um Einschränkung oder Bevormun-
dung – wir bereiten die SchülerInnen auf das berufliche
punktlandung2015.2
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ZwischenBevormundungund
persönlicher Freiheit
Fotos (von oben nach unten):
jreika/shutterstock.com,
dmitri_gromov/fotolia.com
Tarzhanov/shutterstock.com
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