2
E
s ist eine schwere Bürde, die er trägt. Aber er trägt sie gern. An jedem
Morgen, überall inder RepublikabachtUhr,mal etwas früher,mal etwas
später, nimmt der deutsche Lehrkörper im Surren der Tageslichtprojekto-
ren seinenDienst auf und formt aus jungen unbedarften Seelenmündi-
ge BürgerInnen, lässt die Bildung süßemHonig gleich inwillige Schüler-
köpfefließen, auf dass sieeines Tagesalle zuproduktivenLeistungsträge-
rInnen geraten. Schule könnte so schön sein, wenn es da nicht…
Kaum wirft der erste Frühlingstag sein Licht in die altehrwürdigen Ge-
mäuer deutscher Bildungsanstalten, wird den verdutzten PaukerInnen
mit aller Gewalt klar: Früher oder später ereilt jeden ihrer Schützlingedie
Pubertät. Die trumpft ja bekanntlich nicht nur mit launischen Gemüts-
zuständen auf. Auch physische Veränderungen plagen den reifenden
Nachwuchs. Das macht das Anziehen schwer. Schnell greift man dane-
ben. Unversehens prangen ungebeten ungenierte Körperteile Schutzbe-
fohlener beiderlei Geschlechts in Sichtweite der bemühten Akademike-
rInnen.
Daplatzt Frau Schneider im Textilunterricht der Häkelkragen, HerrnMül-
ler bersten imDeutschunterricht vor SchreckdieTweedflicken vom Jackett
und bei Frau Schmidt rollen sich empört die olivfarbenen Fußnägel bis
über die Birkenstockschnallen. Vor lauter NICHTWISSENWOMANHIN-
SEHENSOLL fällt Herrn Meyer auf, dass der Chemieraum wieder gestri-
chen werden könnte und so manchem vom Schreibtischlampenschein
gegerbten Pädagogen kriecht ein unheimlicher Schauer unter den Pull-
under. Ja sogar demHerrnDirektorwird schonganzmulmigunter seiner
Jack-Wolfskin-Allwetterfolie.
U
nd die SchülerInnen sind derweil dermaßen abgelenkt, dass man nur
noch von wachkomaähnlichen Zuständen sprechen kann. Immer öfter
halten sich die Heranwachsenden nach dem Sport ungewöhnlich lange
in denUmkleiden auf. Wo soll das noch hinführen?
Auf den Tischen in den Lehrerzimmern stapelt sich der Unmut. Einige
KollegInnen brummen schon: „Was fällt diesen Rotzlöffeln ein, reifende
Körper in den Unterricht mitzubringen! Kannman da nicht…?“ Kleider-
vorschriften? Aber sicher! Überhaupt kein Thema, wenn man Selbstbe-
stimmung bei Jugendlichen für übertrieben hält.
SchülerInnenundEltern könntenallerdings imGegenzug entsprechende
Forderungen an die LehrerInnen herantragen. Ob Jeanshemden dann
endgültig der Vergangenheit angehören werden? Frisurentechnisch ist
da bestimmt eine Menge herauszuholen. Für ein Verbot von bunten
Jeanshosen ist es leider zu spät. Die haben die Hipster längst für sich
entdeckt. Also genug der verpassten Gelegenheiten! Wer setzt die Peti-
tion auf? Ichbindabei! Auf dass diemodischeGleichförmigkeit uns alle
beflügelnmöge. Schadeeigentlich, dassman soetwasnicht schon früher
durchgesetzt hat…
Christofermit F
ist Vize-NRW-Meister im Poetry Slam.
In seinem zweiten Leben ist er Lehrer für Latein undGeschichte.
Fotos (von oben nach unten):
gerhard64 ,Alex - /photocase.de;
macau, shaunwilkinson/ fotolia.com
Wenn LehrerInnen
unter der Pubertät leiden…