26
arbeitsplatz
nds:Rund70ProzentallerLehrkräfte inNRW
sind Frauen. Regelmäßig schlussfolgern die
Medien: Es ist genaudiese Feminisierung in
Schule,dieJungenzuvermeintlichenBildungs-
verlierernmacht.Was istdranandieserThese?
Kristin Behnke:
Die These ist, ausgehend
vonderaktuellenForschungslage,nichthaltbar.
NichtsdestotrotzwirddieseBehauptung leider
immerwieder vondenMedienaufgegriffen. Ein
Resultat:Die sogenannteFeminisierungsthese
sitztmittlerweile invielenKöpfen festundwird
immerweiterunkritischübernommen, auchvon
Lehrkräften. Die Debatte schadet leider allen
Beteiligten: Den LehrerInnen
wie auch den
Mädchen und Jungen, letztlich der gesamten
InstitutionSchule,daeineKonzentrationaufnur
einen Aspekt eines Gesamtkomplexes erfolgt,
dessenBearbeitungnurbedingtdazubeitragen
kann, Schule zueinempositiverenundproduk-
tiverenOrt des Lernens und Lebens für Kinder
und Jugendliche zumachen.
Wirwissenheute,dassdie relativenBildungs-
erfolge der Mädchen von VertreterInnen der
Feminisierungsthese fälschlicherweise als Bil-
dungsmisserfolg des männlichen Geschlechts
interpretiert werden. Faktoren wie die Lese-
kompetenz oder die sozialeHerkunft stellen in
Deutschland jedocheinendeutlich relevanteren
Faktor dar als das Geschlecht der Lehrperson.
Brauchen Kinder gleichgeschlechtliche Vor-
bilder – insbesondere inder Schule?
DieTatsache,dassJungenspätestensabdem
BeginndesKitabesuchskaummehrmännlichen
Vorbildernbegegnen,undderVersuch, ihrenan-
geblichenBildungsmisserfolgdamit zuerklären,
sind ebenfalls allgegenwärtig.
AuseinerentwicklungspsychologischenSicht-
weisewird grundsätzlich davon ausgegangen,
dass JungenundMädchen imZuge ihrer Identi-
tätsentwicklunggleichgeschlechtlicheVorbilder
benötigen. Und natürlich wäre es wünschens-
wert, wennder Beruf der Lehrkraft soattraktiv
wäre, dassMänner und Frauengleichermaßen
in der Schule arbeiten wollen würden. Für die
Kinderund JugendlichenwäreesmitSicherheit
angenehm, sowohl von Lehrerinnen als auch
von Lehrern unterrichtet zuwerden.
Jedochkonntebislangempirischnichtnach-
gewiesenwerden, dassKinder insbesondere in
derSchulegleichgeschlechtlicheVorbilderbrau-
chen,umeinengutenBildungserfolgzuerzielen:
Es existiert kein Beleg dafür, dass Jungen in
ihremLeseverständnisoder in ihrenMathematik-
kompetenzenvonmehrmännlichenLehrkräften
profitieren. Männliche Lehrkräfte führen bei
JungenaußerdemwederzubesserenNoten,noch
zuhöherenkognitivenKompetenzenodereiner
höherenAnzahl anGymnasialempfehlungen.
Festhalten lässt sich:Es istwenigzielführend,
für einenerfolgreicherenBildungswegder Jun-
genmehr männliche Lehrer zu fordern, da die
ForschungkeinensignifikantenZusammenhang
zwischendemGeschlechtderLehrkraftunddem
Bildungserfolg bei Jungen sieht.
Was bedeutet in diesem Kontext Gender-
kompetenz?
Wir wissen mittlerweile, dass fast jedes In-
dividuumStereotypehinsichtlichdes zentralen
MerkmalsGeschlechtverinnerlichthat.Unddiese
Stereotype können verhaltenswirksam sein: Es
bleibt für die Leistung von SchülerInnen nicht
ohneKonsequenz, wenn LehrkräfteStereotype
hinsichtlichderGeschlechterverinnerlichthaben
unddiesenichtkritisch reflektieren.Derzeit sind
bei Jungen die Lesekompetenzen und weitere
sprachlicheBereichemitnegativenStereotypen
belegt, beiMädchendienaturwissenschaftlich-
technischenFächer.DasPhänomendes „Stereo-
typeThreat“zeigt,dassMitgliedereinerGruppe,
fürdieeinStereotyp ineiner leistungsbezogenen
Situation aktiviert ist, bedeutend schlechtere
Leistungen imVergleichzueiner stereotypfreien
Situation zeigen.
Unter Genderkompetenz versteht man die
Fähigkeit einer Lehrkraft, die Entwicklung der
SchülerInnen unabhängig vom Geschlecht
Von einem ausgewogenenGeschlechterver-
hältnis kann innordrhein-westfälischen Leh-
rerzimmern kaumdieRede sein. Besonders die
Grundschule ist fest in Frauenhand: Hier waren
im Schuljahr 2014/2015 knappüber 90 Pro-
zent des Kollegiumsweiblich.Währenddie freie
Wirtschaft nochüber Frauenquotendiskutiert,
hat Schule es alsogeschafft?Und auf der Strecke
bleibendie Jungen, denenmännlicheVorbilder
fehlen? BildungswissenschaftlerinDr. Kristin
Behnke über diese und andere Irrtümer.
ImGesprächmit BildungswissenschaftlerinDr. KristinBehnke
Schule in Frauenhand?
Dr. KristinBehnke istwissenschaftlicheMitarbeiterinan
der Fakultät fürBildungswissenschaftenderUniversität
Duisburg-Essen.
Foto: privat
Fotos:ArtFamily und Irtsya/shutterstock.com