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THEMA
Eine Justizangestellte, die über elf Jahre
mit insgesamt13befristetenArbeitsverträgen
beschäftigtwar,konntedurchdieseGerichtsent-
scheidungdieEntfristung ihresArbeitsvertrags
erreichen.Grundlage fürdieEntscheidungdes
Bundesarbeitsgerichts war dieGesamtschau,
die sich aus der Gesamtdauer der Tätigkeit,
derAnzahl derArbeitsverträgeundderdurch-
gehend ähnlich gelagerten Art der Tätigkeit
ergab. Inder Folgegab es diverseUrteile auf
Ebene der örtlichen und der Landesarbeits-
gerichte, aber keine generelle Klarstellung,
über welchen Zeitraum die mehrmalige Be-
fristung von Arbeitsverträgen noch zulässig
ist beziehungsweise wie viele Einzelverträge
zur Entfristung vonArbeitsverträgen führen.
Urteile: ZahlreicheBefristungen
sind zulässig
Für den Hochschulbereich legte das Lan-
desarbeitsgericht Nürnberg mit Urteil vom
4. September 2013 (Aktenzeichen 4 Sa
112/13) fest: „Verträge mit wissenschaftli-
chenMitarbeiterInnen einer Universität zum
Zweck der Promotionund einer sichanschlie-
ßenden weiteren wissenschaftlichen Qualifi-
kation können gemäß Paragraf 2 Absatz 1
Wissenschaftszeitvertragsgesetz bis zu einer
Gesamtdauervonzwölf Jahrenauchmehrfach
verlängert werden.“
Die Rechtsprechung zu Projekt- und Dritt-
mittelverträgenhingegen istuneinheitlich:Das
Bundesarbeitsgericht hat die Entscheidung
desLandesarbeitsgerichtsNürnbergbestätigt,
nachderessichbeidemArbeitsverhältniseiner
Klägerin über einen Zeitraum von elf Jahren
aufGrundlagevondreiArbeitsverträgennicht
Foto: antifalten/photocase.de
Kettenverträge anHochschulen
Freiheit für Forschungund Lehre?
Bundesarbeitsgericht: Pressemitteilung
„‚Kettenbefristung‘“ undRechtsmiss-
brauch“
Landesarbeitsgericht Nürnberg: Urteil
und Tatbestand vom4. September 2013
Landesarbeitsgericht Köln: Urteil und
Tatbestand vom6. November 2013
umeine rechtsmissbräuchlicheBefristungskette
handelt (Urteilvom24.September2014,7AZR
987/12).DashessischeLandesarbeitsgericht
hatebenfallsentschieden,dassdieKlageeines
Mitarbeiters bei einer Gesamtbefristungszeit
von elf Jahren mit 16 Einzelverträgen nicht
zur EntfristungdesArbeitsvertrags führt. Das
entsprechende Urteil vom 5. August 2015
(Aktenzeichen2Sa1210/14) istbishernoch
nichtveröffentlichtworden,allerdings führtdas
Gericht in der zugehörigen Pressemitteilung
aus: „Nach Auffassung des Landesarbeits-
gerichts war die angegriffene Befristung im
Wissenschaftsbereich unter besonderer Be-
rücksichtigung der inArtikel 5Absatz 3 Satz
1Grundgesetz (GG) geschützten Freiheit von
ForschungundLehrekeinRechtsmissbrauch.“
Der Kläger äußerte sich zur Nichtzulassung
des Verfahrens beimBundesarbeitsgericht in
einem Interview am 12. August 2015: „Aber
mein Anwalt und ich prüfen, eine Zulassung
für die Revision durchzuboxen.“
EuropäischerGerichtshof könnte
Klarheit schaffen
Durchsetzen konnten sich jeweils ein kla-
genderBeschäftigterbeimLandesarbeitsgericht
Sachsen (Urteil vom 6. März 2014, Aktenzei-
chen6Sa676/13) undbeim Landesarbeits-
gericht Köln (Urteil vom 6. November 2013,
Aktenzeichen11Sa226/13). InSachsenging
es um ein insgesamt 22 Jahre andauerndes
befristetes Arbeitsverhältnis, in Köln um ein
14-jährigesArbeitsverhältnismit insgesamt27
Arbeitsverträgen.DasUrteil ausSachsen liegt
beimBundesarbeitsgericht zur Entscheidung
vor (Aktenzeichen7AZR259/14), während
dasKölnerUrteil nicht zur Revision vorgelegt
und damit rechtskräftigwurde.
Während das Schulministerium NRWmit
Erlass vom 27. September 2013 von sich aus
einräumt,dassbeibefristetenBeschäftigungs-
verhältnissen über einen Zeitraum von zehn
Jahren regelmäßig rechtsmissbräuchliche
Befristungsketten vorliegen, und deshalb
ohne gerichtliches VerfahrenArbeitsverträge
entfristet, bleibt die rechtliche Lage an den
Hochschulenweiterhin ungeklärt.
Es ist dringend notwendig, dass auch für
den Bereich der Hochschularbeitsverträge
klare Entscheidungen auf Bundesarbeits-
gerichtsebenegetroffenwerden.Dabei istdie
Frage ausschlaggebend, ob die Befristungs-
praxis anHochschulen tatsächlich originärer
Bestandteil der Wissenschaftsfreiheit ist. Im
Fall der Justizangestellten brachte auch erst
die Anrufung des EuropäischenGerichtshofs
eine Klärung im Sinne der Beschäftigten.
//
Bernadette Stolle, Leitungsteam der Fach-
gruppeHochschule und Forschung der
GEWNRW undVorsitzende des Personalrats
der wissenschaftlichBeschäftigten
der Fachhochschule Südwestfalen
2012hatte das Bundesarbeitsgericht nach einer Entscheidung
des EuropäischenGerichtshofs anerkannt, dass langjährige
Kettenbefristungen auchdann rechtsmissbräuchlich sein können,
wenn eine nachvollziehbareBegründung für dieBefristung
des einzelnenArbeitsvertrags vorliegt (Bundesarbeitsgericht,
Urteil vom18. Juli 2012, Aktenzeichen7AZR443/09). Ob
dieseRechtsprechung auchAuswirkungen auf denHochschul-
bereichhat, ist derzeit nochnicht absehbar.
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