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BILDUNG
StattStandort für einKraftwerkeinKraftzentrum für Flüchtlingskinder.Aufdem
Ziegenmichelhof inGelsenkirchen, aufhalberStreckezwischenVeltins-Arenaund
Zeche Zollverein, wird es ländlich. Hier sollen die Kinder Energie tanken für ihr
neues Leben inDeutschland. Hier sollen sie en passant die Sprache lernen und
kulturelle Gepflogenheiten aufnehmen. Vor allem dieMädchen sollen gestärkt
werden für ein selbstbestimmtes Leben inneuerUmgebung.Die Integrationhat
auf dem Ziegenmichelhof Tradition.
Ziegenmichelhof inGelsenkirchen
Ankerpunkt für Flüchtlingskinder
MittwochskommtdasAuto.EsholtdieKinder
aus demWohnumfeld ab und bringt sie zum
Ziegenmichelhof.Einmalwöchentlichkönnensie
hier inderNähedesNordsternparkseintauchen
indie ländliche Idylle. Sie lernendieNatur ken-
nen, bastelngemeinsam, kochenundessen zu-
sammen.ZielgruppedesProjektswarenzunächst
Kinder mit Migrationshintergrund, die in den
umliegendenSiedlungenwie inGhettos lebten.
„DasThemawarnichtaufderAgenda“, schildert
ProjektleiterinStefanieTietze.Nachdemdiealte
Hofstellewieder aufgebaut wordenwar, hatte
InhaberMichael Lorenz die Idee, auf demHof
etwas fürdiezugewandertenKinder zumachen:
jugendpädagogischeAngebotenurfürMädchen,
die in ihremKulturkreis oft benachteiligt sind.
Im Juni2006erkanntedieStadtGelsenkirchen
denVereinZiegenmichelhof e.V. als Träger der
freien Jugendhilfe an. Mit organisatorischer
Unterstützung der Arbeiterwohlfahrt wurden
erste Angebote gemacht. „Es war was ganz
Neues“, erinnert sich Stefanie Tietze.
Natur alsBezugspunkt für Bildung
Dass die pädagogischen Angebote des Er-
lebnisbauernhofseinenBezug zurNaturhaben
sollten, lag vonAnfangannahe: Auf demHof
leben Pferde, Ziegen, Schweine, Kaninchen,
Hunde, Katzen. „Wir nutzen die vorhandenen
MittelalsMedien“,erklärtSabineMüller,dieden
landwirtschaftlichenBetrieb leitet. Die Tierna-
mensindeinfachzu lernen. SowirddenKindern
Deutschvermittelt–ohneklassischenUnterricht,
spielerisch, ganznebenbei. Invertrauensbilden-
den Gesprächen erfahren die pädagogischen
MitarbeiterInnen, wo die Probleme der Kinder
liegen. Dabei geht es vor allem um die Mäd-
chen:Wiewerden sie in ihrenFamiliengesehen
undbehandelt? „Unser Ziel ist es, dieMädchen
soweit aufzubauen, dass sie selbstbewusst und
gleichberechtigt ihrenWeggehen können“, so
StefanieTietze. Ihnen sollen ihreMöglichkeiten
aufgezeigtwerdenundauchAlternativenzudem,
was sie aus ihremKulturkreis kennen.
Heute, angesichts stetig steigender Flücht-
lingszahlen, ist das Thema aktueller als je
gedacht und auch die Probleme haben sich
verändert. „Jetzt kommt es darauf an, erstmal
anzukommen, sichwohlzufühlen“, erklärtStefa-
nieTietze,undSabineMüller resümiert: „Essind
andereKindermiteineranderenGeschichteals
die Kinder, die anfangs dabei waren.“ Ihr Ziel:
Die Kinder sollen schnell Vertrauen fassen in
die deutscheGesellschaft undKultur.
JeweilszehnKinder imAlter vonsechsbis15
JahrenbildeneineGruppe,dienachMöglichkeit
überdreiMonatezusammenbleibt.Wöchentlich
wechseltdasProgramm:Malwirdgebastelt,mal
alsNaturdetektiv dieUmgebungdesHofsmit
seinenTieren, PflanzenundBiotopenerkundet.
Bei allenAktivitätenfließtDeutschalsSprache
ein. „Das istwie inderSchule, aberdaswirdden
Kindernnichtbewusst“, schildertSabineMüller.
„WenndieKinderüberWochenhierherkommen,
merktman die Entwicklung.“
Ziegenmichelhof ermöglicht Teilhabe
ManchehabenanfangsAngstvorTierenwie
Hunden oder Pferden. „Wir machen normale
Begegnungen möglich“, sagt Sabine Müller.
Und wenn die zunächst ängstlichen Kinder
dann selbst ein Pferd führen, sei das „ein Rie-
senschritt und stärkt das Selbstvertrauen“. Die
Kinder erzählen gern davon, was sie auf dem
Hof erlebt haben. Wenn sie sich mit eigenen
Beiträgen in der Schule oder imWohnumfeld
einbringen können, ist das für Sabine Müller
auch ein Stück Integration.
Die Kinder werden in den Gruppen so zu-
sammengesetzt, „wie sie sich auf der Straße
nicht treffen würden“, so Sabine Müller. Auf
demZiegenmichelhof sitzenalleaneinemTisch
und müssen miteinander auskommen. „Das
klappt immer sehr schnell“, hat SabineMüller
beobachtet. Immer wieder gibt es Kinder, die
auch längeralsdreiMonatedabei sindunddas
pädagogische Team unterstützen.
Sarina*kamvor fünf Jahrenerstmalsaufden
Hof. SiehatteSchwierigkeitenmit der Sprache
und großeAngst vor Tieren. „Die Elternwaren
sehr nett und verständnisvoll“, erinnert sich
SabineMüller. „SiehabenSarina immerwieder
geschickt.“DurchdienachhaltigeTeilnahmeund
das vertrauensvolle Umfeldmachte das Mäd-
chen schnell Fortschritte. SprachlicheBarrieren
wurdenabgebaut,SarinadurfteaneinerKlassen-
fahrt teilnehmen. „Daswar fürdieFamilievorher
undenkbar“, schildert SabineMüller. Bald kam
auchdiekleinereSchwestermit zudenTreffen.
Schulische Fortschritte ließen nicht lange auf
sichwarten. Für SabineMüllerwurdedeutlich:
„Siehateinesuper Integrationhingelegt.“Sarina
ist mittlerweile elf Jahre alt und unterstützt
diePädagogin: Siedolmetscht oder liefert den
pädagogischenMitarbeiterInnen Informationen
zum kulturellenHintergrund der Flüchtlinge.