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ARBEITSPLATZ
WährendmieseBedingungenbeiMcDonald‘s undAmazondankGünterWall-
raff schon im Programm vonRTL angeprangertwerden, sind öffentlicheArbeit-
geber nochnicht ins Blickfeldder Kritik geraten. Inder Bildung, bei Sozial- und
Gesundheitsdienstenwerden zunehmendMenschenmitMinijobs, Zeit- und
Honorarverträgenbeschäftigt. Diemeistender über 80 TeilnehmerInnender
Konferenz „Prekär im öffentlichenAuftrag“ inder Duisburger Globus-Gesamt-
schule kennen schlechteBeschäftigungsverhältnisse als Betroffene.
Konferenz: Prekär im öffentlichenAuftrag
Bildung zuDumpingpreisen
Sandra K. lässt sich bei ihrer Bank zu einer
Lebensversicherung beraten, mit der sie ihre
nur als kärglich zu erwartende Rente aufbes-
sern könnte. Ganz selbstverständlich geht der
Berater von jährlichen Lohnerhöhungen von
zwei,dreiProzentundentsprechendsteigenden
Beitragszahlungenaus. „Halt, stopp! Ichhabe
schon seit zehn Jahren keineGehaltserhöhung
bekommen und das wird auch so bleiben!“,
klärt siedenBankangestelltenauf.Dieser sieht
sie entgeistert an. Sandramuss ihren Plan be-
graben, fürs Alter vorzusorgen. Sie arbeitet
in einer Offenen Ganztagsschule. Mit ihren
SchicksalsgenossInnen tauscht sie sichauf der
Konferenz vonGEWNRW, ver.di NRWundder
Rosa-Luxemburg-Stiftung e.V. NRW aus.
MitGehaltsaufbesserungen
ist nicht zu rechnen
SozialeDienstewerden privatisiert und der
öffentliche Sektor nach unternehmerischen
Modellen organisiert, erläuterte Sozialwissen-
schaftler Norbert Wohlfahrt von der evange-
lischen Fachhochschule Bochum in der Eröff-
nungsrunde.ÖffentlicheundprivateDienstleister
werdenalsgleichgestellteMarktteilnehmerbe-
handeltundmüssen ihreDienstesopreisgünstig
wiemöglichanbieten. Statteineseinheitlichen
Tarifs für denöffentlichenDienst gibt es heute
1.400unterschiedlicheTarifverträge imöffent-
lichen Sektor. Und im Osten sind nur noch
die Hälfte der im Bildungs- und Sozialbereich
Tätigen tarifgebunden beschäftigt, stellteUte
Kittel von ver.di fest.
Im Bildungsbereich sind neben den Hoch-
schulenvorallemdieOffenenGanztagsschulen
(OGS) Opfer einer marktorientierten Wett-
bewerbspolitik, konstatierteMaikeFinnernvon
derGEWNRW.DieKommunenerhaltenPauscha-
lenvomLandundschreiben ihreOGSwiederum
unter anderem an Freie Träger aus. Jährlich
bekommensie1,5ProzentmehrZuschüsse.Doch
erstens reichendienicht,umangemesseneLohn-
erhöhungen zubezahlen, und zweitenswerden
sieauchgarnichtandieBeschäftigtenweiterge-
geben,wiedasBeispiel vonSandraK. zeigt, die
nichtmehrmitGehaltsaufbesserungen rechnet.
Billiger, billiger, billiger –
dieKonkurrenz ist groß
Durch die Arbeitszeiten an einer OGS ist es
auch schwierig, einenZweitjobauszufüllen, der
zumÜberlebenaber nötigwäre. Oft bleibt nur
ein Kneipenjob amAbend. KeinWunder also,
dass unter diesen Bedingungen die Qualität
derArbeit leidetunddieFluktuationunterden
MitarbeiterInnen hoch ist.
Und es zeigt sich: Es macht einen Unter-
schied,obdieKommunendieOGSanzahlreiche
Träger vergeben, dieuntereinandermitBilligst-
angebotenkonkurrieren,wieetwa inKöln, oder
der obdie Stadt die Trägerschaft an eine kom-
munaleFirmavergibt,wie inEssen.Diekleinen
TrägerhabenkeineBetriebsräte,Gewerkschaften
sind dort kaum vertreten.
LehrbeauftragteanHochschulen –
keineEinladung für euch
AmNachmittag trafen sichdieBetroffenen,
umüberHandlungsmöglichkeiten zu sprechen.
Die Hochschulangehörigen diskutierten über
ihre Probleme in feudaler Abhängigkeit. Zum
Beispiel die Lehrbeauftragten, die zu Hunger-
löhnen, wenn nicht gar umsonst, in der meist
vergeblichen Hoffnung auf eine ordentliche
Laufbahn, die Lehre weitgehend tragen.
Miriam O. aus Berlin berichtete: Zur traditio-
nellen Neujahrsfeier des Instituts wurden Ein-
ladungenanalleMitarbeiterInnenverschickt –
nur die Lehrbeauftragtenbekamenkeine. Eine
Mitarbeiterin informierte sie über die Veran-
staltung und es kam zum Eklat, als plötzlich
zig ungeladene Gäste dastanden, die für sich
reklamierten, auch zum Institut zu gehören.
Allegemeinsam, vondenVerwaltungsange-
stelltenüberdieStudierendenbis zudenHoch-
schullehrerInnen, stehen unter zunehmendem
Arbeitsdruck – ein gemeinsames Thema für
zukünftige Kämpfe, stellte die Arbeitsgruppe
fest.
Qualitätskontrollen? Fehlanzeige!
Im Schwerpunkt Jugend- und Familienhilfe
stellte Rodolfo Bohnenberger die Entwicklung
von prekären Verhältnissen am Beispiel eines
naheBremengelegenenLandkreisesdar:Nach
EmpfehlungexternerGutachterwurden imLand-
kreis rund 100, meist weibliche, freiberufliche
Honorarkräfte als Familienhelferinnen „ange-
heuert“, koordiniert von CasemanagerInnen
im Allgemeinen Sozialen Dienst. Von Renten-
versicherung und Berufshaftpflicht konnten
die Scheinselbstständigen oft nur träumen.
DieKonferenzhatesaufdenPunktgebracht: Im
BildungsbereichgibtesentlangderBildungskette
zahlreicheprekäreBeschäftigungsverhältnisse: in
derKITA, imOffenenGanztagderGrundschulen ,
inderWeiterbildung, inderHochschule.Ganztag
inSchulenalsVoraussetzung fürmehrChancen-
gleichheit erfordert klare Qualitätsstandards –
auch für die Arbeitsverträge der Beschäftigten.
Betroffen sindüberwiegendFrauen. Sprach- und
Integrationskurse sindwichtig für unsereGesell-
schaft, dochdieLehrkräfteanVolkshochschulen
oder in anderen Weiterbildungseinrichtungen
werden auf Honorarbasis zu schlecht bezahlt.
Das muss sich ändern – und dafür setzt sich
dieGEW ein.
Dorothea Schäfer, Vorsitzende der GEWNRW
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