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nds 8-2015
andere Voraussetzung, als diemeisten seiner
MitschülerInnen. Hat dieser Schüler trotz der
Widrigkeiteneinen relativgutenZeugnisdurch-
schnitt, muss das selbstverständlich anders
gewertet werden – nämlich als Potenzial, als
Talent. Was wäre, wenn dieser Schüler eine
Unterstützung, individuelleFörderungoder ein
Stipendium bekäme? Genau an dieser Stelle
setzt „Meine Talentförderung“ an.
Abgesehendavonwissen immer noch viele
Schulen zu wenig über die finanziellen För-
dermöglichkeiten für SchülerInnen und Stu-
dierende. In Deutschland gibt es insgesamt
zwölf staatlicheBegabtenförderungswerke im
Hochschulbereich, die aus Haushaltsmitteln
insgesamt rund 200 Millionen Euro (2013)
erhalten. Ebenso gibt es etliche Stiftungen,
die imSchulbereich fördern.Natürlichkommen
SchülerInnen nicht unbedingt allein auf die
Idee, ein Stipendium zu beantragen. Umso
wichtiger ist es, dass regelmäßige Informatio-
nengestreut oder gar SchülerInnenpersönlich
darauf angesprochenwerden. Dabei ist nicht
nur die Ansprache wichtig, sondern genauso
die Begleitung der SchülerInnen. So kann ih-
nen auch die Angst genommenwerden, dass
sie zumBeispiel ein Studium aus finanziellen
Gründen nicht schaffenwürden.
FörderungdurchdasMinisterium
Das Projekt „MeineTalentförderung“findet
so großen Anklang, dass das Ministerium für
Innovation, Wissenschaft und Forschung des
Landes Nordrhein-Westfalen im Mai 2015
eineKooperationsvereinbarungmit derWest-
fälischen Hochschule unterzeichnet hat und
bis zum Jahr 2020 für denAusbaudes Talent-
scoutings 6,4 Millionen Euro zur Verfügung
stellt. AuchdieHochschuleBochum, dieRuhr-
UniversitätBochum, dieFachhochschuleDort-
mund,dieTechnischeUniversitätDortmund,die
UniversitätDuisburg-EssenunddieHochschule
Ruhr-WestwerdenkünftigandemProjekt teil-
nehmenunddasModell an ihrenHochschulen
individuellund standortbezogenumsetzen. Für
dieKoordinierungundUnterstützungderArbeit
wird im September 2015 das „NRW-Zentrum
für Talentförderung“ an der Westfälischen
Hochschule inGelsenkirchen eröffnet.
Zudem baut die Westfälische Hochschule
mit der Universität Duisburg-Essen und der
Fachhochschule Dortmund gemeinsam das
TalentKolleg Ruhr auf. An den Standorten
Herne, Dortmund und Essen unterstützt das
KollegdieSchülerInnenunter anderemdabei,
ihreNoten inden schwächerenSchulfächern zu
verbessern. Für denAufbaudes TalentKollegs
Ruhr hat die StiftungMercator für fünf Jahre
fünf Millionen Euro zur Verfügung gestellt.
Das Talentscouting beinhaltet sehr gute
Ansätze, die auch an den Schulen individuell
und standortbezogen durchgeführt werden
können – so können auch Schulen außerhalb
der ProjektregionRuhrgebiet vonder Ideedes
Talentscoutingsprofitieren.Dabeigehtesnicht
darum, alle SchülerInnen an die Universität
zu schicken. Es geht darum, Potenziale und
Talente zu entdecken und diese zu fördern.
Dafür müssen Strukturen und Räume in den
Schulengeschaffenwerdenunddas Bewusst-
seindafür,dassTalentscoutingnicht „nebenbei“
geschehen darf.
enol Keser
Nachgefragt
Suat Yılmaz
ist Talentscout der Westfälischen Hochschule Gel-
senkirchen. Schon seit 2011 spürt er unerkannte
Talente in Schulen auf.
nds: Herr Yılmaz, was ist der Kern des Talent-
scoutings?
Suat Yılmaz:
Das Talentscouting ist ein individu-
eller Ansatz, der sich an SchülerInnen ab der Ober-
stufe richtet und eine kontinuierliche Begleitung
bis zum (Fach-)Abitur und – wenn gewünscht –
auch durch das Studium beinhaltet. Neben Infor-
mationundOrientierunggeht es bei meiner Arbeit
auch darum, zumotivieren und Selbstvertrauen zu
geben.
Was ist denn ein Talent?
Es sind Persönlichkeitenmit Leistungsbereitschaft,
Teamfähigkeit und hoher sozialer Kompetenz. Hier
geht es aber nicht nur umguteNoten, sondernum
einen viel tieferen Blick, den Blick auf den Men-
schen, und darum, Leistung im Lebenskontext zu
sehen.
Warum brauchen wir überhaupt in einem Land
wieDeutschland solch eine Förderung?
Weil in unserem Land leider noch zu oft Herkunft
über Zukunft entscheidet! Wir haben eine nicht
hinnehmbareVerzerrung vonChancenauf Bildung.
Aber das erste und wichtigste Argument ist doch,
dass solch eine Situation nicht gerecht ist.
Wie können Schulenunterstützendmitwirken?
LehrerInnenmüssenalsEntdeckerInnenunerschlos-
sener Talente gewonnen werden, sie haben eine
Schlüsselfunktion bei der Gestaltung der Zukunft
jungerMenschen. Inunserer Zusammenarbeit zeigt
sich daher auch schon heute deutlich, dass in den
Partnerschulen ein zum Teil völlig neues Verständ-
nis der eigenen Schülerschaft aufgekommen ist.
Viele LehrerInnen konnten vor Ort alsMultiplikato-
rInnen gewonnenwerden.
Warum gibt es das Talentscouting nur im Ruhr-
gebiet?
Das NRW-Zentrum für Talentförderung im Ruhr-
gebiet zu gründen, war eine richtige und wichtige
Entscheidung desWissenschaftsministeriums. Hier
schlummerndiegrößtenbisher übersehenen Talent-
reserven aus NichtakademikerInnen-Familien.
Gleichzeitig haben wir die dichteste Hochschul-
landschaft Deutschlands. Das Ruhrgebiet bietet
also die besten Voraussetzungen, um Bildungs-
investitionen zu tätigen. Ich bin mir aber sicher,
dass dieser Ansatz auch auf andere Regionen
übertragenwird.
Projekt „Meine Talentförderung“:
Infos und eine umfangreiche
Sammlung vonMedienberichten
ARD-alpha: Meister oderMaster?
Als Arbeiterkind andieUni
StiftungMercator: TalentKolleg
Ruhr – Verborgene Talente fördern
und zum Studienerfolg führen
enol Keser
Freier Journalist undMitglied des
Ausschusses fürmultikulturelle
Politik der GEWNRW und im
Leitungsteam der jungenGEW
NRW
Foto: suze/photocase.de
Foto:WestfälischeHochschule