19
nds 1-2016
Sprache undBegriffe sindpermanent imWandel. Sie haben
Einfluss undWirkungen auf dieGesellschaft. Das lässt sich
vor allem ander Begriffsgeschichte vonGastarbeiterInnen
aufzeigen: AusGastarbeiterInnenwurdenAusländerInnen,
MigrantInnen, MenschenmitMigrationshintergrundund
mittlerweileMenschen aus Einwandererfamilien.
Sprachsensibilisierung
Schreiben und Sprechen
über Geflüchtete
Die Veränderung der Sprache lässt sich an-
hand zahlreicherBeispieleverdeutlichen: Inder
Arbeitsweltwerden in Stellenausschreibungen
nicht mehr Putzfrauen oder Putzmänner ge-
sucht, sondernRaumpflegerInnenundder uns
bekannteHausmeister wird durch den Facility
Managerersetzt.Zweifelsohne istsolcheSprach-
veränderungnichtsUngewöhnliches,notwendig
und legitim. Der Sprachwandel bringt jedoch
nicht nur veränderte Bezeichnungen, sondern
unter Umständen auch eine politische Aus-
drucksweisemit sich, die jedoch nicht in allen
Fällen angemessen ist.
Menschen sindkeineNaturkatastrophen
Ein inDeutschlandgeborenerundsozialisier-
ter Jugendlicher aus einer Einwanderfamilie,
der als Ausländer oder Migrant bezeichnet
wird, fühlt sich durch diese Zuschreibung aus-
gegrenzt, jasogar teilweisediskriminiert.Derart
unbedachteZuschreibungenkönnennebender
Ausgrenzung auch verletzend wirken. Einige
alltägliche Begriffe müssen daher überdacht,
kritischhinterfragt undgegebenenfalls ersetzt
oder verändert werden.
Daszeigt sichvorallemanderaktuellenThe-
matikdergeflüchtetenMenschen: Inden1980er
Jahrenwurde insbesonderedurchdieMediender
negativkonnotierteBegriff „AsylantIn“geprägt,
stattvonAsylbewerberInnen zu sprechen.Auch
heutewirddieBezeichnung „AsylantInnen“ im-
mernochverwendet, vorallem–abernichtnur–
von Pegida-AnhängerInnen. Zugespitzt wurde
der Begriffdann inden1990er Jahrenmit der
Foto: Mella/photocase.de
Beschreibung„Asylantenstrom“oder„Asylanten-
flut“. Und heute kehren Beschreibungen wie
„Flüchtlingsstrom“und„Flüchtlingswelle“ inden
Sprachgebrauch zurück, wodurch Geflüchtete
mitNaturkatastrophengleichgesetztundsomit
als Gefahr dargestellt werden.
Sprachsensibilisierung imAlltag
EbensogiltdasWort „Flüchtling“mittlerweile
alspolitischnichtkorrektbeziehungsweisenicht
angemessen. Zumeinenwegen seiner Endung
„ling“, die als kleinmachend und abwertend
empfundenwird. Zumanderenauch,weilhinter
dem „ling“diepersönlichenGründe, Schicksale
undGeschichtenderMenschen, die aus ihrem
Heimatlandfliehenmussten, verschwinden.Als
Alternative wird unter anderem das neutrale
Wort „Geflüchtete“ verwendet.
DiebeispielhaftdargestelltenBeschreibungen
undMetaphernmachendeutlich, wie sensibel
imAlltagmitderSpracheumgegangenwerden
muss.MancheWörter können inBezugaufdas
ThemaFluchtallzu schnelldasGefühl transpor-
tieren, dassGeflüchtetenichtalsSchutzsuchen-
de, sondern viel mehr als Bedrohung gesehen
werden.DieGefahr,dasssolcheZuschreibungen
undnegativ konnotierteBegriffe Einzug indie
Alltagssprache halten, ist nicht von der Hand
zu weisen. Umso wichtiger ist die Auseinan-
dersetzung mit den Begrifflichkeiten und der
dazugehörigen sprachlichen Sensibilisierung.
Ob inBildungseinrichtungen, inden (sozialen)
Medienoderauch imprivatenUmfeld:Allzuoft
werden inemotionalgeführtenDebattenBegriffe
gedankenlosverwendetoderunreflektiert inden
eigenenWortschatz übernommen.
SprachlicherGewalt entgegenwirken
DieSprachwissenschaftlerinProfessorinRuth
Wodak drückt die Bedeutung so aus: „Durch
Sprachewerden IdeologienundWerthaltungen
transportiert. Es geht darum, Menschen nicht
abzuwerten. SprachlicheGewaltebnetdenWeg
für physische Gewalt. Darüber nachzudenken,
welche Begriffeman verwendet, sollte also im
Interesse von allen sein.“ Dass „Flüchtling“ als
Wortdes Jahres2015gewähltwurde, bedeutet
eben nicht, dass es sich um ein wertneutrales
Worthandelt.ZuschnellbestimmenMedienund
soziale Netzwerke die Begriffsbestimmungen.
Insbesondere LehrerInnen und ihren Schüle-
rInnenmuss bewusst sein, dass Begriffe auch
Einstellungenausdrücken.DiedeutscheSprache
bietet genügend alternative undwertneutrale
Begriffe, diegenutztwerdenkönnen– solange
man sichmit ihnen auseinandersetzt.
//
enol Keser
Freier Journalist undMitglied des
Ausschusses fürmultikulturelle Politik
der GEWNRW