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nds 10-2015
InterkulturelleBrückenbauen
Eine solchhoheAnzahl vonGeflüchtetenundAsylsuchendenwie seitAnfangdes Jahres2015
hat Deutschland seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr erlebt. Wenn die Menschen in einer
nordrhein-westfälischenStadt oderGemeindeankommen, haben sieeinewochenlange Irrfahrt –
vielfach unter Lebensgefahr – hinter sich. Als Erstes brauchen sie einDach über demKopf. Um
das bereitzustellen, strengen sich die Kommunen bis ans Ende ihrer Kräfte an.
Die regulären Verteilverfahrenwie die Unterbringung in einer Erstaufnahmeeinrichtung des
Landes, die Überweisung an eine Kommune und der Übergang in den freienWohnungsmarkt
funktionieren längst nicht mehr. Aber es wäre vermessen, Staat und Kommunalverwaltung vor-
zuwerfen, sie hätten sich nicht richtig darauf vorbereitet. Niemand hätte sich auf derart viele
Menschen vorbereiten können. Alsomüssen Städte und Gemeinden ständig improvisieren, neu
planen und gleichzeitig für Verständnis werben – bei den BürgerInnen dafür, dass immer mehr
Turnhallen nicht genutzt werden können, und bei denAsylsuchenden, dassman ihremWunsch
nach einer familiengerechtenWohnung nicht entsprechen kann.
ZusätzlichePädagogInnen inKitasundSchulen
FürMenschenaus größtenteils bildungsfernen LändernundGebieten, beispielsweise inNord-
afrika sowie imNahen undMittlerenOsten, erscheint der Alltag in der westlichenWelt schwer
durchschaubar. Sie brauchen erst einmal einen Lotsen durch Busfahrpläne und Behördenflure.
Ihnen Grundkenntnisse in Deutsch beizubringen, ist die nächste Herausforderung. Hier haben
die kommunalenVolkshochschulen inder Vergangenheit Hervorragendes geleistet. Aber immer
noch fehlen Kurse sowie LehrerInnen. Der Städte- und Gemeindebund NRW hat angeregt, bei
der Rekrutierung zusätzlicher Lehrkräfte flexibel zu sein: RuheständlerInnen, Fachfremde, Ehren-
amtlerInnenmit Talent zumUnterrichten.
Mit denKindernderAsylsuchendenkommt einegewaltigeBildungsaufgabeauf uns zu. Denn
wir wissen meist nicht, was die Heranwachsenden in ihrer Heimat gelernt haben. Auch ihre
LebensgewohnheitenundWertvorstellungenunterscheiden sich zumTeil erheblichvonunserer –
bereits vonMigrationserfahrung geprägten – Kultur. Daher müssen zunächst Kindergärten und
Schulenausgebautundadäquatmit zusätzlichenPädagogInnenbesetztwerden.Darüberhinaus
müssenLehrerInnenKompetenzweitüber ihrFachgebiethinausentwickeln–alsSozialarbeiterInnen,
StreitschlichterInnenoder interkulturelleBrückenbauerInnen.UmkurzfristigPlatz zu schaffen für
die zusätzlichenKlassenmüssenwirflexibel seinundAusweichquartierenutzen.Mittelfristighilft
nur ein staatlich unterstützter Ausbau der Schulen.
Geflüchteten eineZukunftsperspektive ermöglichen
DasehrenamtlicheEngagement rundumdieFlüchtlingsbetreuung istgrandios.Niemandhätte
es fürmöglichgehalten, dass so vieleBürgerInnenunserer angeblich so saturiertenGesellschaft
sichZeitnehmen fürdievielenFremdenund so reichlichHilfsgüter spenden.DieseWillkommens-
kultur ist authentisch, sie kommt von Herzen. Derzeit ist nicht der Mangel an ehrenamtlicher
Hilfe das Problem, sondern eher einÜberangebot, das es zu koordinieren gilt. Hier springen die
Kommunenmeist erfolgreich als OrganisatorInnen undModeratorInnen ein.
Das Engagement unzähliger Freiwilliger in der Flüchtlingsbetreuung trägt dazu bei, die
Willkommenskultur trotz größter Herausforderungen zu erhalten. Dennoch rückt der Zeitpunkt
näher, andem Städte undGemeindendie enorme Zuwanderungnichtmehr werdenbewältigen
können. EsmüssenalleAnstrengungenunternommenwerden, denMenschen in ihrerHeimateine
Zukunftsperspektive zuermöglichen.Denn jedeBildungleistunghierzulande ist immernur zweite
Wahl gegenüber einer stabilen, sich selbst entwickelndenGesellschaft in denHerkunftsländern
der geflüchtetenMenschen.
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Dr. Bernd Jürgen Schneider
Hauptgeschäftsführer des
Städte- undGemeindebun-
desNordrhein-Westfalen e.V.
Foto: StGBNRW