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nds 9-2015
Gesundheitsschutz: Der lange
Wegdurchdie Institutionen
Als die Beschäftigten in Kindertagesstätten 2009 ihre Bereitschaft zum Arbeitskampf für
gesundheitsbezogene Forderungen eindrucksvoll unter Beweis stellten, waren viele überrascht.
Dabei war in der arbeitswissenschaftlichen Diskussion auch damals schon bekannt, dass die
Arbeitsunfähigkeitsquoten inpädagogischenBerufenüber demDurchschnitt der Beschäftigten
inallenBranchen liegen. Sowundert es kaum, dass der ersteArbeitgeber, der amBundesarbeits-
gericht zuSchadensersatzverurteiltwordenwar,weil erdiePflichtenausdemArbeitsschutzgesetz
verletzt hatte, eine Schulverwaltungwar.
Fortschritt imSchneckentempo
Vor 2010 hatte keinBundesland das Arbeitssicherheitsgesetz korrekt angewandt, in der Ver-
waltung und in den Schulen fehlte elementares arbeitsschutzrechtliches Know-how. Inzwischen
ist unbestritten, dass dieGefährdungsbeurteilung der physischen und psychischenBelastungen
in allen Schulen zu realisieren ist. In einer Reihe von Schulen sind in NRW solche Erhebungen
mit Hilfe des COPSOQ-Fragebogens erfolgt. Die Schulberichte, die daraus hervorgegangen sind,
dokumentiereneinzelne Fortschritteund vielenochnicht erledigteAufgabenbei derGestaltung
derArbeitsstätten, beim Lärmschutzundder Verringerungpsychischer Belastungen. Nicht selten
liegen die zu treffendenMaßnahmen auf der Hand, werden aber nicht inAngriff genommen.
DerbekannteEinwand, dasskeineentsprechendenMittel imHaushalteingestellt seien, belegt
mangelndeKenntnissedesHaushaltsrechts, dennnachdemHaushaltsgrundsätzegesetz können
zwingendegesetzlichePflichten –unddazugehört der Arbeitsschutz –durchdenHaushaltsplan
nichtaufgehobenwerden.DasUnionsrecht formuliert esnochdeutlicher:DerGesundheitsschutz
der Beschäftigten darf keinen rein wirtschaftlichen Überlegungen untergeordnet werden – so
zuletztderEuropäischeGerichtshof ineinemUrteil vom10. September2015.Verantwortlich istdas
Land alsDienstherr. Es kanndieseVerantwortungnicht auf die Schulträger abwälzen, denndas
LandbetreibtdieArbeitsstätteund istdaher andieVorgabendesArbeitsschutzrechtsgebunden.
Beschäftigte ergreifen selbst die Initiative
Trotzdemgehtesnur langsamvoran. SchulministeriumundBezirksregierungen fungieren inder
Regel alsBremsklötze, sodassnur dieBeschäftigtenund ihre InteressenvertretungenalsMotoren
inBetracht kommen. LehrerräteundSicherheitsbeauftragte könnendieDefiziteundHandlungs-
felder konkret beschreibenundauchdie Eltern für Projektegewinnen: InHessen enstand sodas
zweijährige Projekt „Flüsterndes Klassenzimmer“. SchülerInnen, Eltern und LehrerInnen halfen
sich hier mit Unterstützung der Unfallkasse Hessen und der GEW selbst. Sie analysierten die
Lärmbelastungan30Darmstädter Schulenund sorgtenmit schallabsorbierendenDeckenplatten
für Abhilfe. ImArbeitsschutzausschuss der Schule ist regelmäßig die Prioritätenliste handfester
Maßnahmen zu formulieren, sodass bei jeder Renovierung und Baumaßnahme auch konkrete
Schritte–etwa fürRaumakustikundBarrierefreiheit –eingebrachtwerdenkönnen. Schulleitungen
müssen von den vorgesetzten Stellen unterstützt werden, wenn sie beispielsweise moderierte
Gruppenanalysen imBAAM-Verfahren realisierenmöchten.
Alswichtigster Hebel erweist sichdasMitbestimmungsrecht der Personalräte, das gerade als
Initiativrecht wichtige Anstöße liefern kann. Auf dieser Grundlage kann auch durch organisato-
rischeMaßnahmenwiedieBestellung vonSicherheitsbeauftragten, dieEinrichtung vonGesund-
heitszirkeln sowiedieUmsetzungderDGUV-Vorschrift 2 – einer Vorgabe zur Konkretisierungdes
Arbeitssicherheitsgesetzes–derWegdurchdie Institutionen forciertundvorangetriebenwerden.
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Prof. Dr. WolfhardKohte
Inhaber der Gründungs-
professur Zivilrecht II an der
Juristischen Fakultät der
Martin-Luther-Universität
Halle-Wittenberg