Privatisierungsreport Vom Rückzug des Staates aus der Bildung Impressum Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Hauptvorstand Reifenberger Str. 21 60489 Frankfurt Tel.: 069/78973-0 Fax: 069/78973-201 E-Mail: info@gew.de www.gew.de Verantwortlich: Marianne Demmer und Ulf Rödde Redaktion: Ulf Rödde, Martina Schmerr, Stefanie Eßwein Texte und Fotos: Matthais Holland-Letz Illustrationen: Katja Rosenberg Gestaltung und Satz: Jana Roth Druck: Druckerei Leutheußer Februar 2006 „Ja, vielerorts haben sich ein Denken und eine Haltung etabliert, die man durchaus als neue Ideologie kennzeichnen kann. Ich meine den Anspruch, alle Lebensbeziehungen, alle Interessen der Gesellschaften und Staaten den Gesetzen des Marktes zu unterwerfen (...) Seine Herrschaft scheint alles in Frage zu stellen, was bisher Gewicht und Bedeutung hatte: Kulturelle und regionale Identität, nationale Souveränität, religiöse und weltanschauliche Überzeugungen und Wertorientierungen (...) Dieses Denken und eine Praxis, die sich daran orientiert, trägt Züge einer Ideologie, die Demokratie und soziale Stabilität gefährdet.“ Bundespräsident a.D. Johannes Rau ¦ Rede zur Verleihung des Hans-Böckler-Preises Oktober 2000 in Potsdam 2 Privatisierungsreport Vom Rückzug des Staates aus der Bildung Vorwort 4 Matthias Holland-Letz: Sponsoring und Marketing an Schulen Lesen lernen mit Keks-Buchstaben 8 Lernpartnerschaften Kommt das „Allianz-Gymnasium“ oder die „Thomy-Realschule“? 26 Was Eltern draufzahlen Fördervereine, „Elternsteuer“, Essensbeitrag und Büchergeld 44 GEW-Links zu den Themen Privatisierung und Bildungsfinanzierung 61 3 Vorwort Mit dieser Broschüre legt die GEW den ersten Teil einer Reihe zu Privatisierungstendenzen im Bildungsbereich vor. Im Fokus stehen dabei zunächst die Schulen. Warum? Weil viele Menschen beim Thema Privatisierung eher an gebührenpflichtige Kindertagesstätten und Hochschulen, unternehmenseigene Eliteschmieden, kommerzielle Angebote der Erwachsenenbildung oder auch an privatwirtschaftliche Weiterbildung denken. Vielleicht noch an die etwa sechs Prozent Privatschulen, die es in Deutschland gibt. Die Schule ist zurecht der Sektor, der am meisten dem Staat und dem Grundgesetz verpflichtet ist. Das grundgesetzliche Gebot der Neutralität und Chancengleichheit verträgt sich nicht mit Gebühren, Marktinteressen oder Kommerz. „Privatisierung“ hat hier einen engen Spielraum und wird deshalb eher unterschätzt. Wir wollen mit der Reihe Privatiserungsreport Facetten und Dimensionen von Privatisierung aufzeigen. Sie möchte deutlich machen, dass die Grenzen zwischen Staat und Markt, zwischen Öffentlichem und Privatem, zwischen neutralem Bildungsauftrag und privatwirtschaftlicher Indienstnahme fließender und flirrender sind, als man das für den Schulbereich bisher ausreichend zur Kenntnis genommen hat. Unter „Privatisierung“ lässt sich zum einen eine Privatisierung der Kosten verstehen: Bildungsausgaben, die vielleicht einst die öffentliche Hand getätigt hat oder die zusätzlich entstehen, werden zunehmend von Privaten – Eltern oder auch Unternehmen – übernommen. Sehr deutlich wird dies bei Sponsoring und Werbung an Schulen. In Zeiten klammer öffentlicher Kassen und entsprechend geänderter Schulgesetze geraten Bildungseinrichtungen zunehmend in den Sog privatwirtschaftlicher Abhängigkeiten, wenn sie ihr Angebot attraktiv gestalten oder einfach nur aufrecht erhalten wollen. 4 Der Beitrag Sponsoring und Marketing an Schulen. Lesen lernen mit KeksBuchstaben zeigt, dass die Beziehungen zwischen Schulen und ihren Sponsoren mitunter bedenkliche Formen annehmen. Bedenklich, weil einige Unternehmen ganz offen die Kinder und Jugendlichen als Käuferschicht umwerben – und das zum Teil mit gesundheitlich fragwürdigen Produkten -, weil die zur Neutralität verpflichteten Schulen sich kommerzialisieren und die ohnehin schon ungleiche Verteilung privater Gelder unter den Schulen weiter zunehmen kann. Werbung und Wirtschaft haben die Schulen für sich entdeckt. Zu sagen: Sponsoring ist o.k., nur Produktwerbung ist heikel, greift dabei zu kurz. Jenseits plumper Werbefeldzüge nutzen Firmen auf vielfältige und subtile Weise den öffentlichen Raum Schule: Sie kassieren die Adressen der Schülerinnen und Schüler für spätere Mailingaktionen, sie nehmen Einfluss auf das Kaufverhalten der Eltern oder sie benutzen Schulen, um ihr vielleicht fragliches oder ramponiertes Ansehen aufzubessern. Dafür liefert der erste Beitrag Beispiele. „Privatisierung“ ist also mehr als nur die Verlagerung von Bildungskosten von der öffentlichen zur privaten Seite hin. Unter Privatisierung fällt ebenso die Ausdehnung privaten – oder besser: privatwirtschaftlichen – Einflusses auf öffentliche Schulen und damit auf deren öffentlichen und der Neutralität verpflichteten Bildungsauftrag. Zum Beispiel, wenn Unternehmen ihre Produktpalette, ihre Firmenphilosophie und ihre ökonomische Weltsicht in den Unterricht tragen als Teil von „Lernpartnerschaften“, die in Zeiten größerer Selbstständigkeit von Schulen regen Zuwachs haben. Oder wenn Schulen in Gefahr geraten, ihre Schülerinnen und Schüler als billige Arbeitskräfte zu „verleihen“ oder gar auf den Dienst in der Bundeswehr vorzubereiten. Hierfür liefert der Beitrag Lernpartnerschaften: Kommt das „Allianz-Gymnasium“ oder die „Thomy-Realschule“? einige anschauliche Beispiele. Sie machen deutlich, dass man unter „Privatisierung“ zugleich die „Ökonomisierung“ von Schulen begreifen muss. 5 Privatwirtschaftliche Interessen und Prinzipien halten Einzug, ob im Unterricht oder auch durch eine dominante Orientierung an ökonomisch verwertbarem Wissen und Kompetenzen. Zum Thema Privatisierung gehört außerdem, wenn Eltern zunehmend Ausgaben aufgebürdet werden. Dass in einem weitgehend halbtags organisierten Schulwesen der Nachmittag – mit Nachhilfe, Musikschulen, Sport oder Computerlernprogrammen – ohnehin von Eltern finanziert wird, gerät dabei oft von vorneherein aus dem Blick. Was dem elterlichen Geldbeutel darüber hinaus noch alles zugemutet wird, trägt der Beitrag Was Eltern draufzahlen: Fördervereine, „Elternsteuer“, Essensbeitrag und Büchergeld zusammen. Eltern investieren zum Beispiel viel Geld und Arbeitskraft in Fördervereine. Um kein Missverständnis aufkommen zu lassen: Das Engagement von Eltern ist nicht hoch genug für die Entwicklung und das Funktionieren von Schule einzuschätzen. Fördervereine ermöglichen Dinge, die andernfalls nicht machbar wären. Sie bereichern die Kultur und das Profil einer Schule. Jedoch ist – ähnlich wie beim Sponsoring – der Einsatz privater Mittel immer dann prekär, wenn er zum regelmäßigen Ersatz öffentlicher Mittel gerät, wenn er die Grundversorgung finanzieren helfen muss und wenn er nur bestimmten Schulen dient, andere aber leer ausgehen. Der Beitrag zeigt zugleich auf, wie Elternfördervereine wiederum ins Visier privatwirtschaftlicher Interessen, zum Beispiel der Versicherungswirtschaft, geraten. Und nicht nur das: Eltern werden darüber hinaus für Schulbücher, für das Schulessen und für den Nachmittagsbetrieb zur Kasse gebeten oder personell eingespannt. Die Kooperation mit den Eltern wie auch mit der Wirtschaft ist wichtig für das Gelingen von Schule. Und freilich gibt es viele positive Beispiele für unverfängliche, produktive und auch sozial ausgeglichene Kooperationen. Keinesfalls ist also alles, was „privat“ ist, per se suspekt. Fragwürdig werden jedoch die hier aufgezeigten Tendenzen stets dann, 6 s wenn sie den Rückzug des Staates aus der öffentlichen Finanzierung reflektieren, s wenn die pädagogische Freiheit einer Geschäftsbeziehung untergeordnet wird, s wenn der schulische Bildungsauftrag einseitig durch privatwirtschaftliche Interessen vereinnahmt wird, s wenn Kommerz und Werbung in die Schulen Einzug halten, s wenn Wissen und Kompetenzen zunehmend daran gemessen werden, in wie weit sie verwertbar für den Arbeits- oder Konsumentenmarkt sind, s wenn Eltern immer mehr zur Finanzierung öffentlicher Aufgaben heran gezogen werden, sei es durch Geldbeiträge oder Arbeitsleistung, und s wenn die ohnehin in Deutschland weit auseinander klaffenden Lern- und Lebensverhältnisse noch weiter auseinander getrieben werden. Wir haben den Wirtschaftsjournalisten Matthias Holland-Letz beauftragt, für prekäre Tendenzen Beispiele zu recherchieren. Man kann die vorliegende Broschüre als eine Art Schwarzbuch von Fällen betrachten, in denen die Grenzen des Vertretbaren verletzt werden. Diese Grenzen zu beobachten, deren Überschreitungen aufzuzeigen und zu verhindern, dazu will die GEW einen Beitrag leisten. Marianne Demmer und Martina Schmerr Vorstandsbereich Schule des GEW-Hauptvorstands 7 Sponsoring und Marketing an Schulen Lesen lernen mit Keks-Buchstaben 8 Bahlsen, Coca-Cola oder Sparkassen finanzieren Unterrichtsmaterialien. Der Gründer des Metro-Konzerns stiftet viel Geld, damit ein Gymnasium seinen Namen trägt.Allianz organisiert einen kostenlosen „Berufschancen-Test“ an Schulen – und nutzt die gesammelten Daten zur Kundenwerbung. Wenn sich Unternehmen und Privatpersonen an Schulen engagieren, geht es längst nicht mehr darum, ein „Sahnehäubchen“ für die Schulhofgestaltung oder die Lehrmittelausstattung zu finanzieren. In Zeiten leerer öffentlicher Kassen geraten Schulen in Abhängigkeit privater Unternehmen. Christoph Zeuch ist eine sympathische Erscheinung. „Fangen wir gleich an?“, fragt der dunkelhaarige junge Mann mit dem Drei-TageBart. Wir sind in Hamburg, in den Räumen der „youngkombi GmbH“. Die Agentur für Bildungs- und Jugendkommunikation bietet Unternehmen an, in Schulen zu werben. Geschäftsführer Zeuch, 28, und Manager Dirk Sandvohs, 40, nehmen Platz im schlichten Konferenzraum. An der Wand hängen zwei Plakate, auf dem Tisch stapeln sich blaue Kaffeetassen. Warum denn Schulen für werbetreibende Firmen so interessant sind, will ich wissen. „Die Zielgruppe ist hochattraktiv“, antwortet Zeuch. Und: Schulen bilden einen „exklusiven Raum“. Bundesweit gibt es „Die Zielgruppe ist hochattraktiv.“ 48.000 Schulen mit etwa zwölf Millionen Schülerinnen und Schülern. Die verfügen über gut neun Milliarden Euro Taschengeld jährlich, melden die Marketingexperten. Sie schätzen, dass Mädchen und Jungs in ihren Familien über weitere Ausgaben in Höhe von 55 Milliarden Euro mitbestimmen. 9 „youngkombi“ will da mitmischen – und hängt Reklame-Plakate im Schulgebäude auf, platziert Firmen-Logos auf Schulhefte oder veranstaltet Marketing-Events auf Oberstufenpartys. „Unsere Teams“, wirbt die Agentur auf ihren Internet-Seiten, können „auch von Klasse zu Klasse gehen und Aktionen im Unterricht durchführen“. „Eltern und Lehrer sind in der Regel begeistert“, behauptet das Unternehmen, das in Hamburg und Hannover rund 40 Mitarbeiter beschäftigt. Zu den Kunden der Agentur gehören Coca-Cola, Ford, E-plus, Burger King, Ikea, FDP, SPD und das Bundesministerium für Verteidigung. Doch werde längst nicht für jedes Produkt in der Schule geworben, betont „youngkombi“. „Kein Alkohol, keine Zigaretten, keine Pharmazeutika“, sagt Dirk Sandvohs. „Das Wohl der Kinder muss im Vordergrund stehen.“ Man strebe eine „win-win-Situation“ an, betont Zeuch, ehemals Vorstands-Mitglied im Landesschülerrat von Niedersachsen. „Durch die Werbeverträge, die wir vermitteln, erhalten Schulen alljährlich Sach- und Geldmittel im Wert von mehreren Millionen Euro“, so die Selbstdarstellung der Agentur. Derlei Worte klingen vielen Schulleiterinnen und Rektoren wie Musik in den Ohren. Denn in Zeiten knapper öffentlicher Mittel sind Schulen gezwungen, auf eigene Faust Geldgeber aufzutun. Mitunter soll Werbung oder Sponsoring sogar helfen, marode Klassenräume zu renovieren und lecke Dächer winterfest zu machen. Wenn Schulen um Hilfe rufen „Pestalozzischule Emden sucht Material zur Lärmschutzdämmung der Flurdecken sowie Montage.“ Diese Kleinanzeige steht auf der Homepage der Aktion „bildungslueckenfueller“1. Nach eigenen Angaben betreibe man „die erste Spendenplattform für deutsche Schulen“, heißt es auf der Seite. Da ist zu lesen, dass Samir F. eine „PC-Maus mit Tastatur“ anzubieten hat. Die Evangelische Grundschule Berlin10 Wilmersdorf bedankt sich für „eine Wandtafel“. Die Angebote spendierfreudiger Privatpersonen und hilfsbereiter Firmen treffen auf die Anfragen von notleidenden Schulen. Als „Medienpartner“ mit im Boot sind die Berliner Morgenpost und das „McDonald’s Magazin“. Bei „bildungslueckenfueller“ erfährt man auch, was die Schulen zu ihren Suchanzeigen bewegt hat. So schreibt die nach Lärmschutzmaterial fragende Pestalozzischule, eine Sonderschule mit mehrfach Schwerstbehinderten: „Unser Gebäude ist sehr alt.“ Es entstehe in den hohen Fluren ein großer Lärmpegel, „der unsere Schüler sehr aggressiv macht“. Weiter: „Unter der Stimmung, die dort entsteht, leiden alle Schüler und Lehrer sehr.“ Wenn es um Sponsoring und Marketing an Schulen geht, sind die Werbebotschaften gut versteckt – oder von einer Frechheit, die geradezu verblüfft: s Im Kreis Wesel am Niederrhein engagiert sich die Verbands-Sparkasse Wesel. Alljährlich verteilt sie 50.000 Heimatkundebücher kostenlos für den Grundschulunterricht. Auf Seite 78 werden die Kinder zunächst aufgefordert: „Überlege, was das Logo der Sparkasse bedeutet.“ Es folgt die Frage: „Warum bringst du dein Geld zur Sparkasse?“ Auf dem Buchrücken schließlich ist ein Foto abgedruckt: Schüler stehen vor einer Sparkassenfiliale - mit dem Sparbuch in der Hand. s Die Allianz-Versicherungsgruppe verschaffte sich im Jahr 2005 Zugang zu 1.100 Schulklassen. Unter dem Slogan „Allianz in Schulen“ organisierte das Unternehmen einen kostenlosen „Berufschancen-Test“ für Schülerinnen und Schüler. Die dabei gewonnenen Namen und Adressen der Teilnehmer nutzt die Allianz, um „schriftlich zu Finanzdienstleistungen bedarfsgerecht informieren“ zu können. So steht es in den Teilnahmebedingungen. 11 s 2.500 Euro für Lehrmittel kassierte das Gymnasium im bayerischen Berchtesgaden, weil es 2005 den Sieger bei der Deutschen Scrabble-Schulmeisterschaft stellte. Der Wettbewerb wird unterstützt von der Firma Mattel, die Scrabble in Deutschland vertreibt, und von Bahlsen, dem Keks-Hersteller aus Hannover. s Auf der Internet-Seite „scrabble.de“ stehen kostenlose Unterrichtsmaterialien zum download bereit: Ein Lehrerbegleitheft „Scrabble „Spielerisch lernen mit ABC Russisch Brot.“ im Unterricht“ sowie die Bahlsen-Broschüre „Spielerisch lernen mit ABC Russisch Brot“. Geht es nach Bahlsen, so sind die gezuckerten braunen Ess-Buchstaben geradezu geschaffen für den Einsatz im Klassenraum. Da sollen Grundschüler etwa mit verbundenen Augen fühlen, welchen Buchstaben sie in der Hand halten. „Ist die Lösung richtig, darf der Buchstabe zur Belohnung gegessen werden“, empfiehlt das Unternehmen im Begleitheft. Gymnasien bevorzugt Ob Gymnasien für Werbeaktionen attraktiver sind als Hauptschulen, will ich von „youngkombi“ wissen. Christoph Zeuch bejaht. Gymnasien hätten höhere Schülerzahlen, sagt der Agenturchef. Und für Marketingleiter zählten „große Einheiten“ und „Reichweiten-Prinzipien“. Auch seien Gymnasiasten „als Bildungselite“ für manche Produkte interessanter als Hauptschüler, ergänzt Zeuch. Bildungsforscher wie Manfred Weiß aus Frankfurt am Main bestätigen: Sponsoren-Gelder oder Marketing-Einnahmen werden höchst ungleich auf die staatlichen Schulen verteilt. Dieses Problem haben auch einige Sponsoren erkannt – etwa der Rotary-Club (RC) Oberhausen. Der Club, gegründet in den 1950er Jahren von Bergwerksdi12 rektoren und Vorständen der Schwerindustrie, fördert gezielt Bildungseinrichtungen in schwierigem sozialen Umfeld. Eine Jury, gebildet aus Eltern, Lehrern, Sozialpädagogen und Führungskräften der Wirtschaft, wählte 2004 sieben Oberhausener Schulen aus, darunter drei Hauptschulen. Deren Fördervereine erhalten über einen Zeitraum von fünf Jahren jeweils 10.000 Euro. Die zweckgebundene Gelder, so will es der RC, fließen in Hausaufgabenbetreuung, zusätzliche Leseunterstützung und die individuelle Förderung lernschwacher Kinder. „Zusätzlich erhalten die unterstützten Schulfördervereine jeweils einen Paten aus dem Kreis der Rotarier“, berichtet die Neue Ruhr Zeitung. Die Paten, so der Pressebericht, berieten die Fördervereine „organisatorisch und kaufmännisch“. Zudem seien sie „bei der Akquise zusätzlicher Mittel behilflich“. Zu den Sponsoren des Projektes zählen Thyssengas, E.on-Ruhrgas und die Energieversorgung Oberhausen AG (EVO). Mit im Boot sitzen der Bundesverband der Schulfördervereine und die Caritas Oberhausen. In Paderborn ist bereits ein Nachahmerprojekt am Start. Sind derartige Poolmodelle ein Weg, um Sponsorengelder gleichmäßig zu verteilen? Damit auch vermeintlich weniger attraktive Schulen profitieren? „Die große Mehrheit“ der Unternehmenssponsoren lehne dies ab, berichtete die arbeitgebernahe „Bundesarbeitsgemeinschaft SchuleWirtschaft“. Sie stützte sich auf eine Umfrage in NordrheinWestfalen (NRW) aus dem Jahr 2000/2001.2 „Zu bürokratisch, nicht ortsnah und gezielt“, zitiert die Bundesarbeitsgemeinschaft eine der Begründungen. Eine andere lautet: „Wir möchten selbst festlegen, wo unsere Mittel eingesetzt werden.“ Dazu passen zwei weitere Ergebnisse der Umfrage: Auf die Frage, ob Schulen von Einzelinteressen frei gehalten werden sollen, antworteten nur 44,2 Prozent der Unternehmen mit Ja. Das lässt den Schluss zu, dass 55,8 Prozent der Unternehmen nichts dagegen haben, wenn Firmeneinflüsse auf Schulen steigen. Zudem sind die Vergleichbarkeit der Lebensverhältnisse und 13 die Chancengerechtigkeit an Schulen lediglich für 26,8 Prozent „ein wichtiger Faktor“, schreibt die Bundesarbeitsgemeinschaft. Daraus folgt, dass sich 73,2 Prozent der Firmen um dieses Ziel nicht scheren. Die Bundesarbeitsmeinschaft hatte 400 Unternehmen angeschrieben. 59 Firmen schickten den Fragebogen zurück. Auch der Verbraucherzentrale-Bundesverband (vzbv) beschäftigt sich mit Schulsponsoring. Am 5. September 2005 lud der Verband zur Tagung nach Berlin. „Wie kann die staatliche Bildungsautonomie gesichert werden?“, lautete eine Frage dort. Und: „Erzieht Werbung an Schulen zu Markenfetischismus?“ Sponsoring nicht verteufeln Helmut Schorlemmer, Leiter des Pestalozzi-Gymnasiums in Unna bei Dortmund, hatte im Auftrag des vzbv ein Gutachten3 zum Schulsponsoring ausgearbeitet. Schorlemmer, gleichzeitig Schulsponsoringbeauf- Berlin, Sachsen-Anhalt und Bremen erlauben Produktwerbung an Schulen. tragter des Landes Nordrhein-Westfalen, unterscheidet zunächst zwischen Sponsoring und Produktwerbung. „Sponsoring ist ein Vertragsverhältnis“, stellt der Schulleiter klar, „das auf dem Prinzip von Leistung und Gegenleistung beruht.“ Die Schule werde gefördert – und als Gegenleistung verbuche der Sponsor einen Imagegewinn. Produktwerbung hingegen, betont er, sei die „absichtliche Beeinflussung von Menschen, um sie für ein bestimmtes Produkt als Käufer zu gewinnen“. Die Länder Berlin, Sachsen-Anhalt und Bremen erlauben inzwischen unter bestimmten Bedingungen Produktwerbung in Schulen. Als Negativbeispiele für Schulsponsoring nennt Schorlemmer in seinem Gutachten etwa diese beiden Fälle: 14 s Die Firma Danone lobte im Jahr 1999 einen Mal- und Schreibwettbewerb an hessischen Schulen aus. Ein Poster mit dem „ABC der Fruchtzwerge“ sollte Grundschüler motivieren, Geschichten über die gezuckerte Quarkspeise zu schreiben, berichtete die Deutsche Presse-Agentur (dpa). Bis Januar 1999 hatten sich laut dpa 67 Schulen angemeldet. Das hessische Kultusministerium stoppte die „Fruchtzwerge“-Aktion. s Der Energiekonzern RWE versorgte Schulanfänger im niederrheinischen Nettetal-Breyell mit einer orangefarbenen Leucht-Schärpe. Auf der Schärpe prangte in großen Buchstaben das RWE-Logo. Wie die Welt am Sonntag am 13. Mai 2005 allerdings schrieb, konnte sich der Leiter der hiesigen Lambertus-Grundschule später nicht mehr an diese Aktion erinnern. Gutachter Schorlemmer ist trotzdem weit entfernt, Unternehmensaktivitäten an Schulen generell zu verdammen. Um sich den heutigen Herausforderungen zu stellen, betont er, „brauchen Schulen auch Partner“. „Eine Möglichkeit der außerschulischen Unterstützung“, findet er, „ist das Sponsoring“. Auch die Verbraucherzentralen lehnen Schulsponsoring keineswegs ab. Im Hintergrundpapier zur Berliner Tagung wird eine Vielzahl von Positivbeispielen genannt: s In Sachsen unterstützt das Dresdner Versorgungsunternehmen Drewag Schulen mit einem Trinkbrunnenprojekt. Der Kinder- und Jugendärztliche Dienst hatte zuvor festgestellt, dass die Getränkeversorgung an Dresdner Schulen mangelhaft ist. Ein Trinkbrunnen kostet rund 1.500 Euro. Davon übernimmt die Drewag jeweils rund ein Viertel. s In Schleswig-Holstein halfen Sponsoren, das Buch „Erzählt es euren Kindern“ zum Holocaust zu finanzieren. Das Buch wurde 15 kostenlos an alle Schülerinnen und Schüler der neunten Klassen verteilt. Werbewirtschaft verärgert Trotz der lobenden Worte zum Schulsponsoring - Marketing-Profis und Unternehmensvertreter reagierten vergrätzt auf die Tagung der Verbraucherschützer. Zum Beispiel Volker Nickel, Sprecher des Zentralverbandes der deutschen Werbewirtschaft (ZAW) mit Sitz in Berlin. Er sieht eine „vorurteilsbehaftete Behandlung des Themas“ und bemängelt „einseitige Information“. Werbelobbyist Nickel beschwert sich, dass Helmut Schorlemmer Sponsoring zwar positiv bewertet, Werbung an Schulen hingegen ablehnt. Nickel weiter: „Zerbrechende Familienstrukturen und fehlende emotionale Zuwendung durch die Eltern“ – all das schreibe Schorlemmer angeblich „als Wirkung der Markenwerbung zu“. Einen Nachweis für seine Befürchtungen liefere „Wir erwarten dafür aber auch gesellschaftliche Anerkennung.“ der Verfasser des Gutachtens hingegen nicht, er bleibe „nebulös“. Außerdem findet Nickel: „Die Vorstellung von der werbefreien Schule wirkt weltentrückt.“ Er gießt Hohn und Spott über Werbekritiker, die vor allem Eines fürchteten: „Die dunkle Macht von Plakaten, Anzeigen und Firmen-Logos drängelt in unsere Schulen.“ Ulrich Lissek, Pressesprecher der Deutschen Telekom, äußert sich weniger aufgeregt. Er erklärt, das Engagement von Unternehmen an Schulen sei nicht selbstverständlich. „Wir helfen wirklich gerne“, meint Lissek. „Wir erwarten dafür aber auch gesellschaftliche Anerkennung. Und nicht die Unterstellung irgendwelcher unlauterer Absichten.“ Schulen als Wirtschaftsunternehmen „youngkombi“-Chef Zeuch sieht die Schulen selbst als Wirtschafts16 unternehmen. Er empfiehlt ihnen, „mehr Selbstwertgefühl“ zu entwickeln. Sie sollten „eine eigene Marke kreieren“, vom Schulprofil bis hin zum eigenen Schullogo – und sich damit möglichen Werbepartnern präsentieren. Er nennt als Beispiel: Eine Schule macht bekannt, dass sie eine Basketball-AG anbietet. Firmen wie „youngkombi“ „scannen“, an welchen weiteren Schulen derartige AGs bestehen – und vermitteln den passenden Werbepartner. Der kommt natürlich aus der Sportartikelbranche. „Microsoft hat Null Interesse an Basketball“, stellt Zeuch klar. Schulen wie das katholische Norbert-Gymnasium (NGK) im rheinischen Knechtsteden zeigen bereits, wohin die Reise geht in Sachen Eigen-Marketing. Das NGK präsentiert sich als „innovative Schule“ und bietet Zusatzunterricht an der eigenen, kostenpflichtigen „Junior Management School“. Schüler der Oberstufe büffeln dabei Betriebswirtschaft, lernen Projektmanagement und erhalten Einblick in Zukunftstechnologien. „Nach zwei Jahren“, erklärt Schulleiter Josef Zanders, „wird vor der Industrie- und Handelskammer eine Abschlussprüfung gemacht“. Zusätzlich zum Abitur, versteht sich. Das Angebot können auch Oberschüler aus Köln, Düsseldorf und dem RheinKreis Neuss nutzen. Außerdem hat das Gymnasium begonnen, mit Unterstützung des Landes NRW ein Sportinternat aufzubauen. „Die Corporate Identitiy der Schule muss weiter ausgebaut und die Marke NGK noch mehr gestärkt werden“, heißt es im besten MarketingDeutsch auf der Schulhomepage. „Schulleiter müssen heute Manager sein.“ „Ich finde, dass Schulleiter heute schon Manager sein müssen.“ Das verkündete Roland Berger von der NRW-Stiftung „Partner für Schule“ bereits vor zwei Jahren auf einer Tagung in Neuss. Er müsse mit 17 Eltern und Unternehmen „umgehen können“, sagte Berger. „Und wenn ein Schulleiter bei der Sponsoringakquise seht gut ist – prima für die Schülerinnen und Schüler.“ Klaus Schäfer, Vertreter des nordrhein-westfälischen Bildungsministeriums, befand auf der gleichen Veranstaltung: Ob eine Schule Sponsoren gewinne oder nicht, dafür sei das Engagement des Schulleiters ausschlaggebend. Und nicht, „in welchem Stadtteil und in welcher Gemeinde“ die Schule liege. Wenn Werbestrategen die Schulen ins Visier nehmen, kann das für Lehrerinnen und Lehrer fatale Folgen haben. 409 Pädagoginnen und Pädagogen, die den Freizeitpark „Movie Park Germany“ in Bottrop mit ihren Klassen besucht hatten, erfuhren plötzlich, dass die Staatsanwaltschaft gegen sie ermittelt – wegen des Verdachts auf Vorteilsnahme im Dienst. Die Parkbetreiber hatten den Lehrkräften einen so genannten Familienpass in die Hand gedrückt, zusammen mit einem Stoß Werbematerial. Der Pass berechtigte die Lehrkräfte und ihre Familien, kostenlos sieben Freizeitparks der Betreiberfirma zu besuchen. Wert des Familienpasses: etwa 250 Euro. Er sei damals Referendar gewesen und habe die Klassenfahrt gar nicht organisiert, empört sich ein Betroffener in einem Internet-Forum. Der Lehrer versichert: Als er den Familienpass erhalten habe, „erkannte ich überhaupt nicht seinen Wert“. Die Staatsanwaltschaft Essen erklärte im Dezember 2005, dass die Verfahren zumeist eingestellt wurden – gegen Zahlung einer Geldbuße von 300 Euro. Einige Verfahren jedoch, so Oberstaatsanwalt Willi Kassenböhmer, seien weiterhin offen. „Herr Beisheim kauft sich eine Schule“ Für reichlich Streit sorgte ein Sponsor der Sonderklasse. Der 82-jährige Milliardär Otto Beisheim, Gründer der Metro-Gruppe, stiftete im August 2005 zehn Millionen Euro - zugunsten einer einzigen Schule, dem staatlichen Gymnasium im bayerischen Tegernsee. „Herausragendes Vorbild bürgerschaftlichen Engagements“, jubelte Bayerns Kultur18 staatssekretär Karl Freller (CSU), als die Stiftungsurkunde im Barocksaal des Gymnasiums unterzeichnet wurde. Doch ein Teil der betroffenen Lehrerinnen und Lehrer jubelte gar nicht. Auch Eltern und Schüler zogen die Stirn kraus. „Soll unser Gymnasium jetzt zur Eliteschule werden?“, fragten einige. Schließlich, ließen Kritiker verlauten, sei ein Stiftungszweck, besonders begabte Schüler zu fördern. Andere wollten wissen, welche Rolle Beisheim in der Nazi-Zeit gespielt habe. Für Bauchschmerzen sorgte auch der Wunsch des Stifters, die Schule möge doch künftig seinen Namen tragen. „Herr Beisheim kauft sich eine Schule“, titelte die tageszeitung (taz). Angesichts so viel Undank reagierte der Metro-Gründer unwirsch – und zog seine Schenkung zurück. Da war das Entsetzen groß im Tegernseer Tal. Die fünf Bürgermeister im Tal polterten, Landrat Norbert Kerkel (Freie Wähler) war empört und Schüler demonstrierten für den Millionenspender. Schließlich lenkten die Kritiker ein – und Otto Beisheim ließ durchblicken, dass er bei seiner Schenkung bleibe. Der Streit habe „viel Unfrieden“ gebracht, die Atmosphäre an der Schule sei „lernunverträglich“ gewesen, heißt es im Kultusministerium rückblickend. Coca-Cola fördert nicht nur das Lesen Ein Unternehmen, das besonders häufig Schulen umwirbt, ist CocaCola. Da gab es im Jahr 2003 die Aktion „Schnapp Dir ein Buch“, gemeinsam mit der Stiftung Lesen. Im Rahmen dieser Kampagne stattete Coca-Cola bundesweit 10.000 Schulklassen mit kostenlosen „Ein Rollenspiel für junge Unternehmer.“ Büchern aus. Der Getränkeriese fördert desweiteren „Jugend trainiert für Olympia“. Seit Ende der 1990er Jahre macht das Unternehmen zudem ein Extraangebot: Gratis-Materialien für den sozial- und wirtschaftskundlichen Unterricht: „Marke, Markt und Marketing“, ein Rollenspiel „für junge Unternehmer“. Gedacht ist die Unterrichtsein19 heit für die Jahrgangsstufen 11 und 12. Das Begleitheft, 121 Seiten stark, ist gespickt mit Coca-Cola-Werbung. „Mal 50, mal 60 Schulen“ bestellten das Rollenspiel pro Jahr, erläutert Gert Harzmann, Sprecher der Coca-Cola GmbH in Berlin. Weit größere Resonanz erzielte der Limonaden-Konzern mit dem Angebot „1.000 Schulen in Bewegung“. Wer sich als Schule bewarb und ausgewählt wurde, durfte einen attraktiven Schulsporttag ausrichten. Denn Coca-Cola stellte kostenlos ein Aktionsmobil zur Verfügung. Das Fahrzeug enthielt Gerätschaften, um vielfältige Spielstationen aufzubauen: Kistenklettern, Rasen-Ski, Pedalo-Fahren, Schwebebalken-Schlacht und Schwungtuch. Zudem lieferte das Unternehmen Gratis-Getränke für den Sporttag. Coca-Cola meldet, dass mit dieser Aktion seit 1996 bundesweit über zwei Millionen Kinder und rund 80.000 Lehrerinnen und Lehrer erreicht wurden. „Wir sehen, was wir angeboten haben, nicht als Werbung“, stellt jedoch Firmensprecher Harzmann klar. Das sei vielmehr Ausdruck des „gesellschaftlichen Engagements“ von Coca-Cola. 1.000 Schulen in Bewegung“ lief zum Jahresende 2005 aus. Das Unternehmen erklärt nun, es wolle seine Schulativitäten neu gestalten. Welche Wirkung der Softdrinkriese an Schulen erzielt, ist schwer festzustellen. Ganz ohne Resonanz scheinen die Aktivitäten jedoch nicht zu bleiben. Das zeigt ein Fall aus dem Frühjahr 2004: Die damalige Verbraucherschutzmnisterin Renate Künast (Bündnis 90/Die Grünen) hatte soeben eine Initiative gegen Fettleibigkeit bei Schulkindern gestartet. Eine heftige Diskussion hob an – und als Beispiel für ungesunde Genussmittel fiel auch der Name Coca-Cola. Das erboste Hans-Michael Goldmann, Bundestagsabgeordneter der FDP. Man dürfe mit Coca-Cola „nicht einen der größten Arbeitgeber Deutschlands in den Dreck ziehen“, zitiert ihn die Süddeutsche Zeitung am 20 18. Juni 2004. Schließlich sponsere das Unternehmen Sportveranstaltungen für Jugendliche. Rabattmarken für den Schulsport Auch die Firma Kellogg’s hat die Zielgruppe Schülerinnen und Schüler fest im Visier. Der Cornflakes-Hersteller startete im Juni 2003 die Aktion „Kellogg’s Frosties für den Schulsport“. Unterstützt von der Deutschen Schulsport-Stiftung, sollten Schüler so genannte TonyTaler sammeln. Jeder Karton „Kellogg’s Frosties“, Ladenpreis rund 2,80 Euro, enthielt einen Taler. Für fünf Taler gab es ein Springseil, für 15 Taler einen Basketball. Wer 300 Taler zusammen hatte, durfte eine Beach-Volleyball-Anlage in Empfang nehmen. Dem Verbraucherzentrale-Bundesverband (vzbv) schmeckte die Aktion gar nicht. Einige Schulen, berichtete der vzbv, verschickten sogar Informationsblätter. Darin würden sie die Eltern aufrufen, die Aktion zu unterstützen. Die Firma setze Schüler und Eltern unter Druck, damit sie Kellogg’s-Produkte kaufen, empörten sich die Verbraucherschützer. Der vzbv verklagte den Cornflakes-Hersteller vor dem Landgericht Bremen – und verlor den Prozess. „Die Werbung verstößt nicht gegen die guten Sitten im Wettbewerb“, urteilten die Richter.4 Auch das Oberlandesgericht Bremen entschied zugunsten Kellogg’s. Der vzbv legte Revision beim Bundesgerichtshof ein. Die Kellogg’s-Leute zeigten sich befriedigt. Sie erinnerten daran, dass ihr Unternehmen seit langem gute Kontakte zu Schulen pflege. „Kellogg’s unterstützt seit nunmehr 17 Jahren `Jugend trainiert für Olympia`“, hieß es auf der Homepage des Unternehmens. Zudem lobte das Unternehmen im Juli 2004 einen Schülerzeitungs-Wettbewerb aus. „Wir möchten von Euch wissen, wie `Jugend trainiert für Olympia` an eurer Schule gelebt wird“, erklärte das Unternehmen auf seiner Homepage. „Schreibt darüber einen Artikel, veröffentlicht ihn in eurer Schü21 lerzeitung.“ Zwingend notwendige Teilnahmebedingung: „Ihr müsst in eurem Artikel auf ...Kellogg’s eingehen.“ Auch Keks-Hersteller Bahlsen startete eine Rabattmarken-Aktion an Schulen. Schüler und deren Familien sollten „Klassenfahrt-Punkte“ sammeln, die auf den Packungen von Bahlsenund Leibniz-Knabberzeug zu finden waren. Hatte eine Schulklasse 222 Punkte zusammen und in ein „Klassensparbuch“ geklebt, so gewährte das Hannoveraner Unternehmen einen Zuschuss für eine Städtereise. „Einfach mit eurem Lehrer das Sparbuch in einem Reisebüro abgeben“, lockte Bahlsen in den Aktionsunterlagen. Für einen Eigenanteil von lediglich 99 Euro pro Kopf durften die Schülerinnen und Schüler dann für drei Tage nach Berlin, Hamburg oder München. Bahlsen verweist darauf, dass die Kampagne in Zusammenarbeit mit dem Institut für Erlebnispädagogik der Universität Lüneburg entstanden ist. Gemeinsam auf große Fahrt zu gehen, das „fördert den Klassenverbund“, betont zudem Dorith Wolff, Pressesprecherin von Bahlsen, in Hannover. Wieder zog der vzbv vor Gericht – und gewann. Die Sammelaktion übe unzulässigen Kaufzwang auf Schüler und Eltern aus, befand das Oberlandesgericht Celle am 21. Juli 2005 in zweiter Instanz.5 Sollte Bahlsen weiter mit einer Sammelaktion für Klassenfahrten werben, drohe ein Ordnungsgeld von bis zu 250.000 Euro, urteilte das Gericht. „Kekswerbung hat mit dem Bildungsauftrag einer Schule nichts zu tun“, erklärt Professor Edda Müller, Vorstand des vzbv. Bahlsen will in die Revision gehen. Trotz des vorläufigen Misserfolgs vor Gericht, sieht der Keks-Herstel22 ler die Sache als Erfolg. „Über 130 Klassen sind auf Fahrt gegangen“, berichtet Dorith Wolf. Viele Eltern und Lehrkräfte, sagt sie, hätten dem Unternehmen geschrieben, dass sie das Angebot „in Zeiten leerer Kassen“ begrüßen. Schulmarketing in den USA Was die Marketingabteilungen von Kellogg’s und Bahlsen ausheckten, hat in den USA eine lange Tradition. Suppenhersteller Campbell’s lockt seit über 30 Jahren mit seinem Programm „Labels for Education“6. Wer massenhaft Campbells-Labels auf den Verpackungen sammelt, kann sie eintauschen – etwa gegen Fußbälle, Kameras, Keyboards oder PCs. „Get free stuff for your school“, wirbt der Suppenkonzern. Das US-Unternehmen gibt den Schulen zudem Tipps, wie sie per Bettelbrief Eltern und Familien zum Sammeln bewegen. Rabattmarkenaktionen zugunsten von Schulen veranstalten auch die amerikanischen Ladenketten Giant Eagle und Target. Pizza Hut belohnt Schüler mit Gratis-Pizza, wenn sie bestimmte Lesestandards erreichen. Auch McDonald’s und Mattel haben Anreizprogramme für Schüler aufgelegt – und „beglücken“ erfolgreiche Schülerinnen und Schüler mit Waren aus eigener Produktion. Fallbeispiele wie diese sammeln die Mitarbeiter der „Commercialism in Education Research Unit“ (CERU), einem Institut an der Arizona State University in Tempe, Arizona.7 CERU durchforstet die amerikanische Presse und das Internet nach Berichten, die Marketing an den öffentlichen Schulen der USA zum Gegenstand haben. Die Ergebnisse veröffentlicht das Institut jedes Jahr in einem Report8. CERU berichtet etwa, wenn amerikanische Unternehmen Unterrichtsmaterialien entwickeln und Schulen zur Verfügung stellen. „Curriculum as Propaganda“, nennen das die Forscher von der Arizona State University. McDonald’s zum Beispiel produziert laut CERU Lehrmaterial zum Thema Ernährung („What’s on your plate?“). 23 Die CERU-Berichte geben zudem Auskunft über Deals, die US-Schulen abschließen, um ihr karges Budget aufzustocken. Da verpflichtet sich der Schuldistrikt von McKinney in Texas, für Kreditkarten zu werben. Im Gegenzug darf er einen bestimmten Prozentsatz des Kreditkartenumsatzes für seine Schulen verwenden. Da finanziert das Fernseh-Network Channel One den Schulen die TV-Ausstattung. Als Gegenleistung werden die Schüler angehalten, während des Unterrichts täglich zwölf Minuten TV-Programm zu konsumieren, inclusive eines zweiminütigen Werbeblocks. Die Spots werben unter anderem für Kaugummi und Computerspiele. Rund 370.000 Klassen mit acht Millionen Schülerinnen und Schülern soll Channel One täglich mit TVWerbung berieseln. Weit verbreitet sind zudem Exklusivverträge. Da unterzeichnet die Schulbehörde von Hillsborough County in Florida einen Zwölf-Jahres-Vertrag über 50 Millionen Dollar mit Pepsi-Cola. Die Vereinbarung verdonnert alle 62 Schulen des Bezirks, in ihren Getränkeautomaten ausschließlich Pepsi-Produkte zu verkaufen. Abmachungen wie diese geraten in den USA derzeit zwar unter Druck, da die Schülerinnen und Schüler immer übergewichtiger werden und Diabetes unter Jugendlichen grassiert. Dennoch: „Ich weiß, dass diese Getränke nicht das beste für dich sind“, zitiert die „St. Petersburg Times“ einen Schulverantwortlichen des Hillsborough County. „Aber“, so das Mitglied des School Board, „wir müssen jede Ressource nutzen, um unsere Kinder auszubilden.“ Zu dieser Aussage passt eine Umfrage der „National Parent Teacher Association“. Demnach werden eingesammelte Spenden von Primary oder High Schools keinesfalls genutzt, um Extraangebote auf die Beine zu stellen, etwa das Schulorchester oder Sportmannschaften. 68 Prozent der Schulen, so die Umfrage, finanzieren mit den erbettelten Dollars schulische Grundbedürfnisse („basic needs as classroom equipment, textbooks and school supplies“). 24 Warum US-Firmen zur Betriebserkundung einladen Längst haben Amerikas Unternehmen auch das Thema Betriebsbesichtigungen für Schüler besetzt. Allerdings sind kommerzielle Vermittlungsagenturen zwischengeschaltet – etwa die „Field Trip Factory“9 mit Sitz in Chicago. Sie bietet den Schulen kostenlose Besichtigungstouren an – und bekommt laut CERU dafür Geld von den Unternehmen, die Ziel der Tripps sind. Angeblich dient alles dem Unterricht. Die CERU-Forscher berichten: Amerikanische Schüler besuchen den Spielwaren-Riesen Toys’R’Us, um zu lernen, wie man Partys organisiert. Im Lebensmittelgroßmarkt stehen Ernährungs-Fragen auf dem Stundenplan. Bei Petco, einer Kette für Haustierbedarf, erfahren die Schülerinnen und Schüler etwas über Tiergesundheit. „School lessons at the local store“, spottet die US-Presse. Worum es in Wirklichkeit geht, spricht ein Petco-Manager aus: „Wir kriegen die Kinder in einem frühen Alter, so dass wir sie hoffentlich zu guten Kunden erziehen können.“ Quellen 1 www.bildungslueckenfueller.de 2 Gerda M. Heinrich, Marion Hüchtermann, Susanne Nowak: „Macht Sponsoring Schule?“, Köln 2002, Deutscher Institutsverlag 3 „Werbung und Sponsoring an Schulen. Der Bildungs- und Erziehungsauftrag der Schule im Spannungsfeld von Werbemaßnahmen und Sponsoringaktivitäten“, Dortmund, August 2005 4 Urteil des LG Bremen vom 1. Juli 2004. Aktenzeichen: 12 0 533/ 03 5 Urteil des OLG Celle vom 21. Juli 2005. Aktenzeichen: 13 U 13/05 6 www.labelsforeducation.com 7 http://www.asu.edu/educ/epsl/ceru.htm 8 Empty Calories: Commercializing Activities in America’s Schools, The Eighth Annual Report on Schoolhouse Commercialism Trends 2004-2005, sowie Virtually Everywhere: Marketing to Children in America’s Schools, The Seventh Annual Report on Schoolhouse Commercialism Trends 2003-2004 9 www.fieldtripfactory.com 25 Lernpartnerschaften Kommt das „Allianz-Gymnasium“ oder die „Thomy-Realschule“? 26 Firmen vereinbaren „Partnerschaften“ mit Schulen. Sie stellen Lehrmaterialien und schicken Mitarbeiter zum Unterrichten. Mitunter werben sie versteckt für ihre Produkte – und für ihre Weltsicht. Gera in Thüringen, 21. Oktober 2003. Zwei Herren unterschreiben einen Vertrag – und schon erhält ein Unternehmen ein völlig neues Aufgabengebiet: Die „Kaeser Kompressoren GmbH“, Hersteller von Druckluftanlagen mit weltweit 3.000 Mitarbeitern, liefert fortan auch Inhalte, Lehrmaterialien und Experten für den Schulunterricht. Abnehmer ist die staatliche 12. Regelschule in Gera, an der Hauptund Realschüler unter einem Dach unterrichtet werden. Vereinbart wurde, dass die Schülerinnen und Schüler in Physik fortan lernen „Wie wird Druckluft erzeugt?“. In Biologie geht es um das „Anwendungsbeispiel Druckluft: Molkereien, Brauereien, Nahrungsmittelindustrie“. In Geschichte steht die „Unternehmensgeschichte“ von Kaeser auf dem Stundenplan. Und in Englisch wird die „Globabilisierungsstrategie des Unternehmens“ durchgenommen. „Druck machen“ für besseres Lernen. Jörg Panzer, Leiter der 12. Regelschule, freut sich über die Partnerschaft, weil ihm „die Praxisnähe für „Druck machen für besseres Lernen.“ die Schüler am Herzen liegt“. Michael Scheler, Personalreferent von Kaeser, erhofft sich durch den direkten Draht zur Schule „Zugang zu qualifizierten und vor allem motivierten Schulabgängern“. Inzwischen haben Schule und Firma in Gera ihre Kooperation verlängert. Neue Unterrichtsinhalte kamen hinzu. Wer die 12. Regelschule besucht, erstellt im Fach Wirtschaft-Umwelt-Europa „Produkte aus Abfallmaterial des Betriebes“. In Ethik wird „Nachhaltiges Wirt27 schaften“ behandelt. Schulleiter Jörg Panzer verweist auf erste Erfolge: Im Sommer 2005 erhielten fünf Absolventen der 12. Regelschule einen Ausbildungsvertrag bei der Kaeser-Niederlassung in Gera. Lernpartnerschaften à la Kaeser gibt es inzwischen wie Sand am Meer. Das zeigt eine Umfrage von Dezember 2004, durchgeführt von der Stiftung „Partner für Schule“1. Die NRW-Landesregierung und neun Unternehmen, darunter Apple, Microsoft, Fujitsu Siemens Computers und IBM, haben die Stiftung 2003 gegründet. „Partner für Schule“ berichtete: Allein in Nordrhein-Westfalen besitzen inzwischen 856 Schulen einen Kooperationspartner. Bundesweit dürften es inzwischen weit über 1.000 sein. Fast jede zweite Schule meldete bei der NRW-Umfrage, dass die Partnerschaft auch den Fachunterricht „unterstützt“, von Mathematik bis zu Gesellschaftswissenschaften. In mehr als 40 Prozent der Schulen stellen Unternehmen „Infrastruktur und Materialien“ für den Unterricht bereit. Und alle machen mit vom Handwerksbetrieb bis zum Großkonzern, von Bayer bis zu Allianz, von BP bis zum Arzneimittelhersteller Schwarz-Pharma. Beispiel T-Mobile in Bonn. Der Mobilfunk-Anbieter pflegt seit 2002 eine Kooperation mit dem örtlichen Carl-von-Ossietzky-Gymnasium. Seitdem hält T-Mobile Einzug in den Unterricht. In Deutsch behandelten die Schüler „SMS-Sprache“. In Erdkunde geht es um „Standortfaktoren – Verflechtung des Unternehmens mit dem Raum“. Aufschlussreiches zeigt auch der Promotionfilm zur Zusammenarbeit. Zu sehen sind Schülerinnen und Schüler während des Unterrichts. Dazu erklingt eine Frauenstimme, die zur Lernpartnerschaft erklärt: „Alle Fragen werden beantwortet.“ Etwa: „Was gibt es Neues in der Telekommunikation?“ und „Ist Handystrahlung gefährlich?“. „Wir sind sehr glücklich, dass wir diese Kooperation haben“, kommt Elke Rademacher, die Schulleiterin, zu Wort. 28 Schüler besser aufs Arbeitsleben vorbereiten Das Ziel der Partnerschaften lautet regelmäßig, den Unterricht praxisnäher zu gestalten. Die Schüler sollen zielgenauer auf das Arbeitsleben vorbereitet werden. Viele Pädagoginnen und Pädagogen reagieren begeistert. „Ein Betrieb“, sagt Gerhard Vater, Leiter der Gesamtschule Geistal im osthessischen Bad Hersfeld, „bietet eine Fülle von Anschauungsmöglichkeiten“. Beim Werksbesuch sollen die Schüler erkennen, „das kommt nicht nur im Unterricht vor, da verdienen ja Leute ihr Geld mit“, so Vater. Dass Schulleiter und Fachlehrer neue Wege gehen, wundert niemanden. Landauf, landab tönt ihnen aus der Kultusbürokratie entgegen: „Schulen müssen sich öffnen.“ Das PISA-Debakel hat viele verunsi- „Das PISA-Debakel hat viele verunsichert.“ chert. Hinzu kommen die Sorge um die unzureichenden Kenntnisse vieler Ausbildungsplatzbewerber, die Schwierigkeiten mit benachteiligten Migrantenkindern. Doch Schulen fehlt es an Geld und Ideen, um zu reagieren. Da ist Hilfe von außen höchst willkommen. Wirtschaftsunternehmen, die über pralle Budgets verfügen und erfahrene Experten abstellen können, laufen deshalb offene Türen ein. Wenn Firmenpraktiker im Unterricht zu Wort kommen, so berichten Pädagogen, dann motiviere dies entmutigte Hauptschüler oder gelangweilte Gymnasiasten. Es sei ein Unterschied, schreibt die osthessische „Hersfelder Zeitung“, ob ein Lehrer den Jugendlichen erklärt, wie wichtig Englischkenntnisse sind. „Oder“, so das Blatt, „ob ein Mitarbeiter, der weltweit in Sachen Autobezüge und Heimtextilien unterwegs ist, dies anhand seines E-Mail-Eingangs demonstriert“. Beifall kam im Herbst 2004 vom damaligen Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD). Er lobte den „Lehrer, der mit Hilfe einer Unternehmenspartnerschaft seine Schülerinnen und Schüler besser auf das 29 Berufsleben vorbereitet“. So zu lesen in einer Zeitungs-Anzeige zur Clement-Initiative „TeamArbeit für Deutschland/Gemeinsam gegen Arbeitslosigkeit“. „Grundsätzlich“ sei gegen eine Kooperation von Wirtschaftsunternehmen und Schulen „nichts einzuwenden“, findet Marianne Demmer. Die Schulexpertin ist stellvertretende Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Demmer begrüßt, wenn Firmen „Einblick in die schulische Realität erhalten“ und „von den Problemen junger Menschen“ erfahren. Wo die Grenzen liegen Demmer fordert jedoch, dass „andere Partner wie Gewerkschaften und Wohlfahrtsverbände“ in den Kooperationen gleichgewichtig vertreten sind. „Unternehmen“, betont die Gewerkschafterin, sollten in den Schulen „inhaltliche Zurückhaltung“ üben. Sie dürften nicht „die eigenen Produkte und Weltsichten verkaufen“. Andernfalls, unterstreicht Demmer, gerate die Kooperation „in Widerspruch zum Bildungsauftrag der Schule“. Der, so die GEW-Frau, ziele etwa „auf kritisches Konsumentenverhalten“. Köln, März 2005. Wir besuchen die Erzbischöfliche Ursulineneinrichtung, eine Mädchenschule. Im Büro von Angelika Ockel, der Leiterin des Realschulzweigs, sitzt Sabrina, 15. Die Partnerschaft mit Siemens sei „voll in Ordnung“, sagt die Realschülerin. „Weil man da Einblick ins Berufsleben bekommt.“ Doch auch an der Ursulinenschule dreht sich die Kooperation nicht nur um Fächer wie Physik und Informatik. Auf dem Stundenplan in „Geschichte“ steht „Unternehmensgeschichte – Siemens von 1848 bis heute“. Nebenan, im gymnasialen Zweig, behandeln die Mädchen in der Englischstunde „Siemens als Global Player“. Ob Siemens Einfluss auf den Unterricht nimmt? „Überhaupt nicht“, versichert Angelika Ockel. „Wir planen gemein30 sam“, erklärt die Schulleiterin. „Lehrer und Siemens-Mitarbeiter setzen sich zusammen“, so Ockel, und entscheiden, wie ein Thema umgesetzt werde. Martina Schmerr vom GEW-Hauptvorstand hat Bedenken. „Was ist“, fragt die Gewerkschafterin, „wenn ein Geschichtslehrer plant, die Rolle des Partnerunternehmens im Nationalsozialismus zu behandeln“? Das könne schnell problematisch werden, fürchtet Schmerr. Schulleiterin Ockel widerspricht. Eine derartige Bevormundung durch den Firmenpartner könne sie sich nicht vorstellen. Sie vertraue darauf, sagt Ockel, „dass man fair miteinander umgeht“. Hauptschüler packen im Kaufhaus mit an Doch die Partnerschaften treiben mitunter noch seltsamere Blüten. Im ostwestfälischen Minden kooperiert das örtliche Kaufhaus Hagemeyer mit der Hauptschule im Stadtteil Todtenhausen. Das Kaufhaus nutzt die Schüler gerne als billige Aushilfskräfte, erfuhr ein WDR-Fernsehreporter im Sommer 2004. Die Schüler „rücken Warenträger“ und helfen, „wenn wir unseren Weihnachtsmarkt im Hause aufbauen“. Das erzählte Jürgen Ahrens, Mitglied der Hagemeyer-Geschäftsführung, freimütig vor der Kamera. Hauptschüler packten auch mit an, so Ahrens, als „Außenwerbung angebracht“ wurde. Wie viel Schüler denn zu solchen Einsätzen kämen?, fragte der Reporter. „Das hängt ganz davon ab, wie viel wir brauchen“, sagte Ahrens. „Fünf bis 15 Leute – und manchmal sind es auch mehr.“ Schulleiter Harald Steinmetz berichtete zudem vor der WDR-Kame31 ra, dass ein Schüler an das Kaufhaus „ausgeliehen“ wurde, um ein EDV-Problem bei Hagemeyer zu lösen. Zwei Tage habe der Schüler im Kaufhaus geholfen, den Computer ans Laufen zu bringen. Geld erhalten die Hauptschüler dafür nicht. „Sie werden vom Haus Hage- „Zur Belohnung gibt es eine Cola.“ meyer mit Kleinigkeiten beköstigt“, etwa mit „einer Cola“, so der Schulleiter. In einem Fall, sagte Steinmetz, wurden Schülern „ein paar Schuhe zur Verfügung gestellt“. Lohn sei ja, „dass Unterrichtsausfall ist, das reicht vielen schon“. Das war denn doch zu viel für das nordrhein-westfälische Schulministerium. Es erkundigte sich in der Hauptschule - und bekam zur Antwort, alles sei in Ordnung. Der Schulleiter versicherte, dass es sich um „einen einmaligen Ausnahmefall“ gehandelt habe, erklärt Ulrich Thünken, Referatsleiter im Schulministerium. „Die Mitarbeit einiger Schüler im Kaufhaus“, so die Erkenntnis von Thünken, habe „überwiegend“ in der Freizeit stattgefunden. Hagemeyer beteuert heute, man wolle von derlei Arbeitseinsätzen nichts mehr wissen. Das Kaufhaus verweist lieber auf Erfolge der Partnerschaft. Pro Jahr, berichtet Mitgeschäftsführer Fritz Drabert, vergebe das Kaufhaus zwölf bis 14 Ausbildungsplätze. „Etwa die Hälfte davon“, schätzt Drabert, werden mit Absolventen der Partnerschule besetzt. Viele der Einrichtungen, die Kooperationen einfädeln, sind eng verbandelt mit Unternehmen und Arbeitgeberverbänden. Dies gilt vor allem für die „Institut Unternehmen & Schule GmbH“2 mit Sitz in Düsseldorf. Sie hat bislang mehr als 400 „Lernpartnerschaften“ angeschoben, in Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg, Thüringen 32 und Sachsen-Anhalt. Das Institut ist ein Ableger der Universität Düsseldorf, hervorgegangen aus dem Lehrstuhl für Chemie-Didaktik. Es übt „engen Schulterschluss mit den Wirtschaftsverbänden“, erklärt Carsten Schülke, Geschäftsführer des Instituts. Ideengeber und eben- „Schulterschluss mit den Wirtschaftsverbänden.“ falls Geschäftsführer des Instituts ist Professor Günter Vollmer. Der Hochschullehrer macht keinen Hehl daraus, welche Ziele er verfolgt. Die Schullandschaft soll zu „wirtschaftsnahen Bildungsregionen“ umgebaut werden, schreibt er in seinem Buch „Unternehmen machen Schule“3. Wo Lernpartnerschaften arbeiten, heißt es dort, werben Kommunen und Regionen „mit dem Argument einer wirtschaftsfreundlichen Schullandschaft für ihren Standort“. Unternehmen können ihr Image verbessern Ausführlich berichtet Vollmer, welchen Profit die Firmen aus den Schulpartnerschaften ziehen: s Unternehmen „mit Imageproblemen“ erhalten durch die Kooperation „mit Kulturfächern wie Kunst oder Deutsch“ Kontakt „zum Kulturleben der Stadt“ – und können dadurch ihr Image aufpolieren. (S.91) s Beim Rekrutieren von Nachwuchskräften („Recruitment“) ermöglichen persönliche Kontakte zu den Lehrern „eine konkrete Nachfrage nach der Qualifikation einzelner Schüler“. Vollmer mahnt allerdings: Es sei „Zurückhaltung geboten, da den Lehrern ein gewisses Maß an Neutralität und Anonymität hinsichtlich der Schüler abverlangt wird“. (S.73) 33 s „Kleinere Unternehmen mit einem Kundenkreis im lokalen Umfeld berichten über steigende Aufträge aus der Elternschaft der Patenschule.“ (S.90) Der Professor erfuhr im November 2003 höchste Ehren: NordrheinWestfalens damaliger Ministerpräsident Peer Steinbrück (SPD) überreichte ihm den Landesverdienstorden. Vollmers Buch gibt derweil Aufschluss darüber, was Mitarbeiter von Unternehmen mitunter verschweigen, wenn sie in Aula oder Klassenzimmer auftreten. „Kompetent und überzeugend“, berichtet Lehrerin Angelika Gabrysch, hätten die drei Auszubildenden des Partnerunternehmens jede Frage beantwortet. „Nur die nach dem Arbeitslohn bleibt offen – vielleicht auf Wunsch der Firma“, wird die Pädagogin zitiert. Der Bericht kommt aus der Theodor-Heuss-Realschule in Meckenheim bei Bonn. Die Schule unterhält eine Partnerschaft mit der „DSG-Canusa GmbH & Co.KG“, die Isolationen für Bauteile und Leitungen produziert. „Schulische Zielsetzungen sind vorrangig.“ Zwar betont Günter Vollmer: Schulische Zielsetzungen „sind vorrangig“, unternehmerische Bedürfnisse hingegen „nachrangig“ zu behandeln. Doch Lernpartnerschaften à la Vollmer zielen darauf ab, dass Firmen Einfluss auf den Unterricht ausüben: s 36 Chemieunternehmen im Regierungsbezirk Köln entwickelten ein Handbuch für den Chemieunterricht. Das Werk wurde kostenfrei an alle Schulen des Regierungsbezirks verschickt. Das Projekt, berichtet Vollmer, „entstand parallel zum Aufbau eines Lernpartnerschaftsnetzes“ (S.185). 34 s Der „Versicherungsausschuss der Industrie- und Handelskammer Köln“ empfahl 1999, jeder in der Stadt ansässige große Versicherer möge eine Partnerschaft mit einem Gymnasium aufbauen. Man erwarte, heißt es, „eine verstärkte Berücksichtigung der Versicherungsmathematik“. Weiteres Ziel: „Eine sukzessive Ausrichtung der Qualifikation der Schüler auf die Belange des Versicherungsstandortes Köln.“ (S.75) s An der Schlossberg-Realschule im baden-württembergischen Albstadt-Ebingen steht Außergewöhnliches auf dem Stundenplan: eine Chinesisch-AG für Neuntklässler. Die Lehrkraft wird vom örtlichen Partnerunternehmen finanziert. Die Firma heißt GrozBeckert, fertigt unter anderem Nadeln für die Textilindustrie und beschäftigt weltweit 7.000 Mitarbeiter. Auch in China hat GrozBeckert eine Fabrik (S.64). „Natürlich“ nähmen Unternehmen via Kooperation Einfluss auf die Schulentwicklung, räumt Professor Vollmer ein. Das sei von der Politik so gewollt. „Eine stärkere Wirtschafts- und Praxisorientierung von Schulen“, erklärt er, „ist Ziel der Kultusministerien aller Bundesländer.“ Das heiße aber nicht, versichert er, „dass Schule zum Spielball der Wirtschaft wird“. Realschule mit Mayonnaise-Schwerpunkt Dennoch nutzen viele Firmen die Lernpartnerschaft, um Werbung für ihre Produkte zu machen. Beispiel Neuss. Der Mayonnaise- und Feinkost-Hersteller Thomy, der zum Nestlé-Konzern gehört, arbeitet mit der Realschule Südstadt zusammen. Thomy-Erzeugnisse haben damit offenbar freie Bahn. Denn „Kochen mit hauseigenen Produkten“ steht im Hauswirtschaftsunterricht auf dem Programm. Natürlich sei das „Schleichwerbung“, gibt Berthold Pütz zu, der an der Schule Deutsch, Geschichte und Politik unterrichtet und zuständig für die Kooperation 35 mit Thomy ist. Doch Werbung zu treiben, sei nicht Zweck der Kooperation, versichert Lehrer Pütz. „Thomy erhofft, die Jugend als zukünftige Mitarbeiter anzusprechen“, sagt Berthold Pütz. Firmenlogos und Produkten den Weg in den Unterricht zu ebnen, ist erklärtes Ziel von Partnerschafts-Professor Vollmer. „Als wir 1995 das Konzept der Lernpartnerschaften mit 36 Chemieunternehmen ausloteten“, schreibt er, habe man sich entschlossen, Markennamen im Unterricht zu verwenden. Die Penatencreme von Johnson & Johnson, das Parfüm „Gabriela Sabatini“ der Firma Muelhens, das Abführmittel „Agiolax“ von Madaus – die Schüler sollten sich „mit der Produktpalette ihres wirtschaftlichen Umfeldes“ auseinandersetzen, betont Vollmer. Damals bedeutete dies einen „Bruch mit den schulischen Gepflogenheiten“, berichtet der Düsseldorfer Professor. Doch Ende der 1990er Jahre, als die Kooperation von Schulen mit Firmen „plötzlich einen höheren Stellenwert bekam, verbesserte sich auch die Rechtslage“. Doch auch heute dürfen Markennamen oder „Mögliche werbende Effekte.“ Firmenlogos „nur als Lehrgegenstand“ verwendet werden, betont der Institutsgeschäftsführer. „Mögliche werbende Effekte“, so Vollmer, zählten allenfalls „zu den Nebenwirkungen“. Was Günter Vollmer nicht davon abhält, in seinem Buch den Unternehmen schmackhaft zu machen, wo überall Werbung und „Präsenz“ im Schulalltag möglich ist: s „Platzierung des Logos in der Schule (inzwischen erlaubt)“, s „Dokumentationskästen, die das Unternehmen mit seinen Produkten in der Schule präsentieren“, s „Schülerzeitungen, Schulzeitungen, Jahres-Chroniken berichten in regelmäßigen Abständen über das Unternehmen...“ 36 Einer der umtriebigsten Schulpartner ist die Metro-Gruppe (Metro Cash & Carry, Galeria Kaufhof, Real, Extra, Media Markt, Saturn). Derzeit sind es 79 Kooperationen, die der internationale Handelsriese mit Sitz in Düsseldorf unterhält.4 Metro lädt zudem jährlich zur Lehrerfortbildung („Meeting Metro“). Zum Treffen am 9. November 2005 in Hamburg kamen mehr als 700 Pädagoginnen und Pädagogen. Auf den Veranstaltungen erfahren die Lehkräfte, welche Ausbildungsplätze der Handelskonzern für Schulabgänger bietet und welche Karrierechancen es bei Metro gibt. Doch damit nicht genug. Für den Unterricht stellt der Handelskonzern „Originalunterlagen aus dem Wirtschaftsbetrieb“ bereit, berichtet Jürgen Homeyer, Sprecher der Düsseldorfer. Dabei, erläutert der Metro-Mann, handele es sich um „Geschäftsberichte, Unternehmenspräsentationen oder Filmmaterial“. Auch die Baumarktkette Praktiker, bis zu ihrem Börsengang im Herbst 2005 Mitglied der Metro-Gruppe, pflegt Lernpartnerschaften. Fünf sind es allein in Köln. Die Baumärkte bieten Praktikumsplätze sowie Ferienjobs und leisten Hilfe bei Projektwochen. Was hingegen den Berufseinstieg von Absolventen der Partnerschulen betrifft, kann Praktiker in Köln bislang wenig Erfolge vorweisen. „59 Praktikanten“ aus den Partnerschulen habe man in den Baumärkten der Domstadt gehabt, berichtete Dittmar Behrens, Personalreferent „Region West“ bei Praktiker, jüngst auf einem Kongress in Bochum. Doch an diese wurde bislang „nur ein Ausbildungsplatz vermittelt“, räumte Behrens ein. Pro Jahr besetzen die Kölner Praktiker-Märkte sechs bis sieben Lehrstellen. Zur Schulpartnerschaft gehört indes, dass Praktiker Schülerinnen und Schüler sowie Lehrkräfte schon mal an Orte bringt, an denen die Metro-Gruppe gerne Werbung in eigener Sache betreibt. So stand im Frühjahr 2005 ein kurzer Besuch im „Future Store“ auf dem Programm, erzählt Behrens. Der „Future Store“ ist ein Supermarkt der Metro-Gruppe in Rheinberg bei Duisburg. Hier präsentiert Metro die umstrittene RFID-Technik, deren Anwendung der Handelsriese vor37 antreibt. Datenschützer bezeichnen die winzigen RFID-Computerchips, mit denen sich Waren kennzeichnen lassen, aber auch Tiere und Menschen, als „Schnüffelchips“. Behrens beteuert hingegen: Werbung für Metro zu machen, „das war nicht der Hintergrund für den Besuch“. Wir dachten, so der Praktiker-Mann, den Future Store kennenzulernen, sei „eine interessante Sache“. Schüler bieten „tatkräftige Unterstützung“ Bemerkenswertes findet sich auch in der Kooperationsvereinbarung vom 3. November 2003, unterzeichnet von dem Personalreferenten und den Leitern der Kölner Partnerschulen. Unter „Sonstige Aktivitäten“ steht: Die Schüler bieten dem Unternehmen „nach Bedarf ihre tatkräftige Unterstützung bei Aktionen und Veranstaltungen an“. Behrens wiegelt ab: „Das heißt nicht, dass die Schüler bei uns mitverkaufen“. Gemeint sei, erläutert er, dass die Jugendlichen gesponsorte Materialien aus dem Baumarkt nutzen, um daraus in der Schule beispielsweise eine Skulptur zu machen. „Das wird dann im Markt ausgestellt“, sagt Dittmar Behrens. Partner eines Metro-Großmarktes (Cash & Carry) ist das Albert-Einstein-Gymnasium in Sankt Augustin nahe Bonn. In der ersten Fassung der „Kooperationsvereinbarung 2003“ steht, dass für die Schüler der Jahrgangsstufe neun ein „Inventurpraktikum“ vorgesehen ist, als Teil des Faches „Gesellschaftswissenschaften“. Heißt das etwa, dass Schüler helfen, den Warenbestand im Unternehmen ermitteln? Weinflaschen Weinflaschen und Strickjackenzählen als Unterrichtsinhalt? und Strickjacken zählen als Unterrichtsinhalt? Nein, das sei kein Teil der Lernpartnerschaft, wehrt Carsten Schülke vom „Institut Unternehmen & Schule“ ab. „Wer als Schüler Lust hat“, erläutert er, könne sich beim Inventurpraktikum „etwas dazuverdienen“. Metro, betont 38 Schülke, „bietet das allen Partnerschulen an“. Metro erklärt jedoch, dieses Angebot gelte nur in Einzelfällen. Wolfgang Köhler, Lehrer für Erdkunde und Englisch am Albert-Einstein-Gymnasium, stellt klar: Den Begriff Inventurpraktikum „haben wir rausgestrichen“. Das passe nicht zur Kooperation, erklärt Köhler. Andere Formulierungen aus dem Metro-Vertragsentwurf wurden hingegen nicht verändert. Demnach geht es am Sankt Augustiner Gymnasium in Erdkunde um die „Handelsware Fisch“. Im Fach Informatik steht „Elektronisches Preisauszeichnungssystem“ auf dem Programm. Und im Englischunterricht erklärt Metro am Beispiel einer Firmenbroschüre, wie sich das Unternehmen „Nachhaltiges Wirtschaften/Sustainability in Trading“ vorstellt. „Lehrer und Schüler sind kritisch genug“, versichert Lehrer Köhler, „um sicherzustellen, dass es nicht zu einseitiger Beeinflussung kommt“. Doch Metro enthüllt selbst, wie die Lernpartnerschaft das Unterrichtsgeschehen verändert. Auf metro-macht-schule.de steht eine Präsentation zum Herunterladen bereit, die am Lise-Meitner-Gymnasium in Leverkusen entstanden ist.5 Die Schülerinnen und Schüler beschäftigten sich mit „Globalisierung konkret – Vom Fischfang bis zum Metro-Markt“. Auf 29 Folien haben die Gymnasiasten ihre Ergebnisse zusammengefasst. Jede einzelne Folie enthält Firmen-Werbung - das gelbe „Metro“-Logo. Die Metro-Gruppe wurde inzwischen für ihr Schulengagement ausgezeichnet: Am 3. November 2005 verlieh NRW-Familienminister Armin Laschet (CDU) den „ENTERPreis“ des Landes – als Ausdruck für „besonderes gelungenes bürgerschaftliches Engagement“. Wenn Unternehmen einen Schulpartner suchen, gelten vor allem Gymnasien, Gesamtschulen und Realschulen als attraktiv. Ganze drei Sonderschulen verfügen über einen Lernpartner, so die Kenntnis des „Instituts Unternehmen & Schule“. Wo Firmen kein Interesse zeigen, könnten ja Kirchen, Wohlfahrtsverbände oder Behörden einspringen, 39 empfiehlt Professor Vollmer in seinem Buch. „So wird zum Beispiel eine Stadtverwaltung Lernpartner einer Sonderschule“, schlägt er vor. Hauptschulen genießen kaum Anziehungskraft. Auch Hauptschulen genießen offenbar kaum Anziehungskraft. Gerade mal 50 Lernpartnerschaften mit Hauptschulen hat das „Institut Unternehmen & Schule“ bislang eingestielt. Vollmer sieht das als Manko – und will Abhilfe schaffen. Im Mai 2005, berichtet der Düsseldorfer Chemie-Didaktiker, habe „Unternehmen & Schule“ mit Partnern eine Initiative gestartet, um Sonderschulen und Hauptschulen mit Firmen zu vernetzen. „Für das Zielgebiet Ruhrgebiet“, schränkt der Hochschullehrer ein. Konzentration auf Hauptschulen Ganz auf Hauptschulen konzentriert sich hingegen ein Projekt der Arbeitsstiftung Hamburg. Die Norddeutschen versuchen, möglichst allen Absolventen der 103 Hauptschulen in der Hansestadt zu einem Ausbildungsplatz zu verhelfen. Dazu haben sich 75 Unternehmen, darunter Otto-Versand, Hapag-Lloyd und Lufthansa-Technik, mit der Agentur für Arbeit und der Stadt Hamburg zusammengetan. „Wir schauen zunächst, wo haben die Schüler ihre Stärken“, berichtet Carsten Israel von der Arbeitsstiftung. Darauf aufbauend folgt die Berufsberatung bei der Arbeitsagentur. Im dritten Schritt vereinbaren die Hauptschüler „eine Art Vorstellungsgespräch“ im Partnerunternehmen ihrer Schule. „Sie bekommen dann Rückmeldung, wie sie gewirkt haben“, sagt Carsten Israel. Wer es wünscht, kann für die weitere Lehrstellensuche einen persönlichen Berater der Arbeitsstiftung um Hilfe bitten. Der Erfolg kann sich sehen lassen: Vor dem Start des Projektes fanden weniger als zehn Prozent aller Hamburger Hauptschulabgänger einen 40 Ausbildungsplatz im ersten Arbeitsmarkt. Inzwischen liegt die Quote bei 17 bis 20 Prozent. Allein nach Abschluss des Schuljahres 2004/ 2005 gelang es 421 Schülerinnen und Schülern, eine Lehrstelle zu finden. „Bei Otto sind mittlerweile 30 ehemalige Hauptschüler in Ausbildung“, berichtet Michael Goedeke, Projektleiter der Arbeitsstiftung. „Vor fünf Jahren“, so Goedeke, „war noch kein Hauptschüler dabei“. Die Unternehmen profitieren etwa davon, wenn das Projekt bei der Vorauswahl der Nachwuchskräfte hilft. Das Hamburger Hauptschulmodell, inzwischen preisgekrönt, hat einen Jahresetat von 590.000 Euro. Finanziert wird es von der Agentur für Arbeit, der Stadt und dem Europäischen Sozialfonds. „Das rechnet sich schnell“, rechtfertigt Michael Goedeke den Einsatz der öffentlichen Mittel. Er verweist auf die hohen Folgekosten für die Sozialkassen, wenn Hauptschüler beim Berufseinstieg scheitern. Nachahmermodelle gibt es inzwischen in Berlin, Basel und Ostwestfalen-Lippe. Derweil stoßen wir in Alsdorf bei Aachen auf eine Hauptschule, die einen „Lernpartner“ der besonderen Art vorweisen kann. Die Europahauptschule Johann-Heinrich-Pestalozzi kooperiert mit der Bundeswehr, genauer gesagt: Mit der Ausbildungswerkstatt des Heeres am Standort Aachen. Die Kooperationsvereinbarung wird am 18. September 2003 in der Lützowkaserne unterzeichnet. Brigadegeneral Peter Brüggemann erklärt, die Bundeswehr wolle „einen Beitrag zu einer praxisorientierteren Schulbildung leisten“. Schulleiter Norbert Steffens begrüßt die „Erweiterung unseres Schulprofils“. Der Kooperationsvereinbarung enthält Brisantes: Die Hauptschule verpflichtet sich, für die Einrichtung der Bundeswehr zu werben. Beide Vertragspartner vereinbaren „gegenseitige Unterstützung bei der Öffentlichkeitsarbeit“. Schulleiter Steffens sieht darin kein Problem. „Ich mache ja nicht Werbung für die Bundeswehr“, sagt der Pädagoge. „Wenn überhaupt, mache ich Werbung für die Ausbildungswerkstatt.“ Es sei aber „legitim“, wenn die Armee auf diesem Weg „ihren Nachwuchs 41 rekrutiert“, findet der Schulleiter. „Das machen andere Unternehmen auch so.“ Gewerkschafterin Demmer hingegen ist gar nicht begeistert. Das Grundgesetz garantiere „die Verweigerung des Wehrdienstes aus Gewissensgründen“, betont die GEW-Frau. Schulen, erklärt sie, „dürfen nicht einseitig informieren.“ Die Abmachung mit der Ausbildungswerkstatt des Heeres verletze deshalb „die Neutralitätspflicht der Schule“, findet Demmer. Der Vertrag könnte „sittenwidrig“ sein. Firmen zücken das Portemonnaie Natürlich geht es auch ums Geld. Im Frühjahr 2005 betonte die damalige nordrhein-westfälische Schulministerin Ute Schäfer (SPD), dass die Zusammenarbeit von Schule und Wirtschaft „finanzielle Ressourcen“ für die „Schulentwicklung“ eröffne. Der Siemens-Konzern etwa zahlt jeder seiner bundesweit 54 Partnerschulen bis zu 1.000 Euro, wenn sich Schüler an einem Projekttag mit Themen wie Energie, Automatisierung, Licht oder Verkehr beschäftigen. T-Mobile stiftete seinem Kooperationspartner, dem Carl-von-Ossietzky-Gymnasium in Bonn, 99 Computer. Das Kaufhaus Hagemeyer unterstützt seine Partnerschule durch „günstige Konditionen, zum Beispiel bei der Anschaffung von Schulbüchern und Schultrikots“, berichtet Schulleiter Steinmetz. Auch habe Hagemeyer einen Zuschuss für die schuleigene Info-Broschüre gezahlt, sagt Steinmetz. Die Broschüre enthält Firmenwerbung. „Praxisnah mit starkem Partner – Hagemeyer“, steht dort. „Problematisch wird der Einfluss der Wirtschaft dann“, betont Marianne Demmer, wenn die „Verarmung der öffentlichen Haushalte“ den Schulen keine andere Wahl lasse, als sich „in Abhängigkeit von finanzkräftigen Wirtschaftsunternehmen zu begeben“. Um das Feld nicht allein den Unternehmen zu überlassen, haben GEW, IG Metall, IG 42 Bergbau-Chemie-Energie und der DGB das noch junge Projekt „Schule und Arbeitswelt“ angestoßen.6 Ein Ziel lautet, Beschäftigten „Einblick in das Schulleben“ zu ermöglichen. Die Projektmacher planen Betriebserkundungen für Schüler und Lehrer und wollen Unterrichtsmaterialien erstellen. Lokale Arbeitskreise treffen sich bereits in Berlin, Dresden, Hamburg, Koblenz, Ludwigshafen, Mannheim und Neustadt/Wörth. Dass zahlreiche Lernpartnerschaften offenbar vor allem Arbeitgeberinteressen bedienen, stößt bei Bildungsfachleuten mehr und mehr auf Kritik. Die Hamburger Erziehungswissenschaftlerin Professor Ingrid Lohmann beklagt, dass sich der Staat aus dem öffentlichen Bildungswesen immer weiter zurückziehe – und das Feld privaten Unternehmen, den „global players“, überlasse. Für sie ist klar: Die schrittweise Privatisierung des Bildungswesens hat begonnen. „Inzwischen gibt es Die Privatisierung des Bildungssystems hat begonnen. sogar privat betriebene Gefängnisse“, betont Klaus-Jürgen Tillmann, Pädagogik-Professor an der Universität Bielefeld. „Warum“, fragt Tillmann, „sollen diese Überlegungen vor den öffentlichen Schulen halt machen?“ Quellen 1 www.partnerfuerschule.nrw.de 2 www.unternehmen-schule.de 3 Günter Vollmer: Unternehmen machen Schule. Mit Lernpartnerschaften zu wirtschaftsorientierten Bildungsregionen, Idee & Produkt-Verlag, Bonn 2005 4 www.metro-macht-schule.de 5 http://www.metro-macht-schule.de/metro/showDatei?pfad=meld_511/Globalisierung%20konkret_PPP%20gesamt1.pdf 6 Weitere Informationen unter: www.schule-gewerkschaften.de 43 Was Eltern draufzahlen Fördervereine, „Elternsteuer“, Essensbeitrag und Büchergeld 44 Im gutbürgerlichen Wohnviertel lassen sich finanzkräftige Fördervereine eher organisieren als im Problemstadtteil. Bei Lehrmitteln oder Ganztagsangeboten gilt deshalb: Die Kluft zwischen reichen und armen Schulen wächst. Zudem sorgt der Staat dafür, dass Eltern immer neue finanzielle Lasten aushalten müssen. Das stößt mancherorts auf Widerstand. Einen Förderverein? Ja, den gebe es an der Luther-Schule, sagt Schulleiter Heinz-Erich Husemann. „Doch sehr, sehr klein.“ Die LutherSchule ist eine Hauptschule in Bielefeld, nur wenige Minuten Fußweg vom Hauptbahnhof entfernt. „Das Klientel unserer Eltern können wir für den Förderverein kaum gewinnen“, bedauert Husemann. 350 Schülerinnen und Schüler besuchen die Schule, viele Eltern erhalten Arbeitslosengeld II oder Sozialhilfe. „Da kriegen wir kein Geld“, bedauert der 57-Jährige. Zudem kommen über 70 Prozent der Kinder aus Migrantenfamilien. Türkei, Kuba, Sri Lanka, China – 26 Nationen sind vertreten. „Das Vereinswesen“, sagt Husemann, sei da „schlecht zu organisieren“. 24 Mitglieder hat der Förderverein. Zwölf von ihnen sind Lehrer. „Die Sozialausgaben der Kommunen sind dramatisch in die Höhe geklettert.Allein in den vergangenen vier Jahren erhöhten sie sich um fast 5,7 Milliarden Euro auf 31,9 Milliarden Euro.“ (Deutscher Städtetag am 29. September 2005) Diese Probleme kennt man in Hamburg-Blankenese nicht. Im feinen Vorort, gelegen am Ende der Elbchaussee, ist die Kaufkraft hoch, die Arbeitslosigkeit gering, der Migrantenanteil verschwindend. Im Förderverein des staatlichen Gymnasiums Blankenese mitzumachen, ist Ehrensache. Auf rund 250 Mitglieder kommt der Schulverein. Damit seien 50 bis 60 Prozent aller Familien vertreten, deren Kinder die Schule besuchen, erklärt Herbert von Dein, der stellvertretende Schulleiter. 45 „Von 1998 bis 2003 stieg das Nettovermögen nominal um rund 17 Prozent [...] Allerdings sind die Privatvermögen in Deutschland sehr ungleichmäßig verteilt [...] Der Anteil des obersten Zehntels ist bis 2003 gegenüber 1998 um gut zwei Prozentpunkte gestiegen.“ (Lebenslagen in Deutschland. Der 2. Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung, April 2005) In Bielefeld fällt das Budget des Fördervereins bescheiden aus. „Wir haben um die 2.000 Euro auf dem Konto“, sagt Susanne Stoffels, Lehrerin an der Luther-Schule und Vorsitzende des Fördervereins. Von dem Geld werden etwa Zuschüsse für Klassenfahrten gezahlt. Trotzdem fahren rund zehn Prozent der Schülerinnen und Schüler nicht mit. „In den Familien fehlt oft die ordentliche Bettwäsche, die man für Klassenfahrten mitbringen muss“, erzählt Stoffels. Was ist mit Spenden und Sponsoren? Das sei „ziemlich zurückgegangen“, berichtet Schulleiter Husemann. „Immer mehr Kinder in Deutschland leben in Armut: 15 Prozent der Kinder unter 14 Jahren, 19,1 Prozent sind es bei den Jugendlichen.“ (Caritasverband für das Bistum Essen, 19. November 2005) Der Schulverein des Gymnasiums Blankenense präsentiert da ganz andere Zahlen. Kontostand im vergangenen September: Rund 19.000 Euro – davon „15.000 Euro in Wertpapieren angelegt“, so Dr. Joachim Granzow, Rechnungsführer des Schulvereins. Ob Keyboards für den Musikunterricht, ein zweiter Computerraum oder das technische Equipment für Theateraufführungen – ohne die Unterstützung des Fördervereins sähe es am Gymnasium ganz anders aus. Der Verein hilft bei jenen Anschaffungen, erläutert Susanne Stalling vom Schul- 46 verein, „die das Unterrichtsangebot verbessern, für die aber staatliche Mittel nicht ausreichen“. „Reiche wollen mehr Steuern zahlen. In einem offenen Brief hat sich eine Gruppe von Vermögenden [...] für eine Erhöhung der Vermögens- und Erbschaftssteuer ausgeprochen. Die Beteiligten kritisieren, dass in Deutschland im internationalen Vergleich Vermögen am niedrigsten besteuert werde.“ (tagesschau.de am 5. November 2005) Wenn Kommunen und Kreise ihre Schuletats kürzen, versuchen die Eltern, in die Bresche zu springen. Doch das gelingt an Gymnasien oder Gesamtschulen im gutbürgerlichen Wohnviertel weit besser als an Hauptschulen im sozialen Brennpunkt. Folge: Die Kluft zwischen den Schulformen öffnet sich weiter. Da hilft auch wenig, wenn etwa in Hamburg die Behörde für Bildung jährlich 150.000 Euro an Fördervereine von benachteiligten Schulen ausschüttet. „Ich sehe es so, dass es in der Tat reiche und arme Schulen gibt“, sagt Barbara Laakmann, Leiterin der Hauptschule Lange Straße in Duisburg-Rheinhausen. „Wo Schulen arm sind, da sind auch die Fördervereine arm“, bestätigt Dietmar Bronder. Auch er leitet eine Hauptschule in Duisburg – und amtiert als Vorsitzender des „Bundesverbandes der Schulfördervereine“ 1 (BSFV) mit Sitz im niederrheinischen Neukirchen-Vluyn. Lehrer sollen im Förderverein mitarbeiten Bundesweit sind rund zwei Millionen Menschen in 20.000 Schulfördervereinen organisiert, erklärt der BSFV. Sie bringen pro Jahr etwa 100 Millionen Euro auf, schätzt Verbandschef Bronder. Rund 6.000 Vereine gehören laut Bronder zum BSFV. Mit der Mitgliederstruktur in den Fördervereinen ist der BSFV-Chef jedoch nicht zufrieden. Er bedauert, dass sich „vor allem Eltern der augenblicklichen Schüler“ einbringen. Das, so der Fördervereinsfunk47 tionär, bedeute „hohe Fluktuation“. Verlasse das Kind die Schule, erklärt Bronder, „scheidet das Mitglied aus“. Er begrüßt deshalb, wenn „engagierte Lehrer“ eine noch stärkere Rolle im Unterstützerverein spielen. Zudem bemängelt der Duisburger, dass sich „weniger als 0,75 Prozent der Unternehmen in Schulfördervereinen engagieren“. An einigen Standorten leisten Firmen bereits handfeste Unterstützung. Etwa in Cottbus: Der Förderverein des Max-Steenbeck-Gymnasiums zählt das BASF-Tochterunternehmen im benachbarten Schwarzheide zu seinen Mitgliedern. Schon heute beeindruckt, was die ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer an den Schulen leisten. In Hannover finanzierten Eltern, Lehrer und ehemalige Schüler an der Käthe-Kollwitz-Schule CD-Player, Beamer, Landkarten und Zubehör für Experimente in den Naturwissenschaften. In Jena investierte der Förderverein des Gymnasiums Am Anger stattliche 9.600 Euro und 270 Arbeitsstunden, um die Schulsportanlage neu zu gestalten. In Krefeld verkündete jüngst der Fördervereinsvorsitzende eines Gymnasiums, dass man auch die Sanierung der Schultoiletten mitfinanziert habe. In Berlin verkaufen Ehrenamtler Milch in der Schule und sammeln Altpapier, um karge Schuletats aufzubessern. Fördervereinsaktivisten beschäftigen sich mit Themen wie „EU-Gelder“, „Bußgeld-Marketing“ oder „Lernmittelfonds“. Sie besuchen Seminare wie „Mitglieder binden mit System“ oder „Vereinsrecht und Buchhaltung“. „Bei der Umsatz- und den Ertragsteuern gehen Milliarden Euro verloren, weil die Steuerverwaltung wegen mangelhafter Gesetze oder wegen fehlendem Personal den Steueranspruch nicht wirksam genug durchsetzen kann. Diesen Missstand abzustellen, muss Priorität in der Politik erhalten.“ (Deutsche Steuergewerkschaft im Februar 2005) 48 Dass die öffentlichen Haushalte ihre Schuletats zurückfahren, bekommen auch die so genannten Ersatzschulen zu spüren. Ersatzschulen sind Schulen in privater Trägerschaft. Sie bekommen öffentliche Zuschüsse und dürfen von den Eltern Schulgeld kassieren. Das gilt bundesweit, mit einer Ausnahme: In Nordrhein-Westfalen ist den Ersatzschulen untersagt, Gebühren zu erheben. Die 422 Ersatzschulen an Rhein und Ruhr sind deshalb in besonderem Maße von ihren Fördervereinen abhängig. Beispiel Kloster Knechtsteden bei Dormagen, nordwestlich von Köln. Schon von weitem grüßen die drei Türme der Basilika den Besucher. Neben der Basilika liegt das katholische Norbert-Gymnasium - ein Zweckbau, der von rund 1.360 Schülerinnen und Schülern besucht wird. Josef Zanders, der Leiter der Ersatzschule, ist besorgt. „Es wird zunehmend schwieriger, Geld für Investitionen in den Schulbetrieb zu erhalten“, klagt der 59-Jährige. Das Norbert-Gymnasium erhält 87 Prozent seines Schuletats vom Land Nordrhein-Westfalen. Die übrigen 13 Prozent zahlt der Trägerverein. Mitglied sind der Rhein-Kreis Neuss, die Stadt Dormagen und das Erzbistum Köln. Früher, so Zanders, habe Dormagen schon mal auf Antrag Schulmöbel finanziert. „Heute nicht mehr“, erklärt er. Zudem habe das Land seine Zuschüsse an den Trägerverein reduziert. Was Zanders weiter Sorgen bereitet: „Sponsoring durch Unternehmen findet nicht statt“, seufzt der Schulleiter. „In dieser prekären Situation“, heißt es auf der Homepage des Gymnasiums, „versucht der Förderverein, die erforderlichen Investitionskosten aufzufangen“. Förderverein mit 140.000 Euro Jahresetat Bislang zumindest schien die „Vereinigung der Freunde und Förderer des Norbert-Gymnasiums“ den Aufgaben gewachsen. „Derzeit 635 Mitglieder“, berichtet Vorstandsmitglied Karl-Heinz Holtheuer. Er ist 49 64 Jahre alt, im Ruhestand und hat hier früher als Lehrer unterrichtet. „Unser Jahresbudget liegt bei 130.000 bis 140.000 Euro“, so Holtheuer. Gut 50.000 Euro davon bringen die Mitgliedsbeiträge. Weitere 80.000 bis 90.000 Euro sind Spenden, überwiegend von Eltern und anderen Privatpersonen. So war der Förderverein jüngst in der Lage, für den Ausbau des schuleigenen Medienzentrums ein Darlehen von 15.000 Euro zu bewilligen. In den Jahren zuvor hatte der Förderverein bereits 70.000 Euro in das Medienzentrum investiert. Das Zentrum, eingerichtet im Juni 2004, kostete insgesamt 700.000 Euro, überwiegend finanziert von Stiftungen und anderen Geldgebern. 150.000 Euro kamen von der öffentlichen Hand. Dafür steht das Medienzentrum auch anderen Schulen im Rhein-Kreis Neuss zur Verfügung. Die Einrichtung bietet einen Multimediabereich mit 15 Computerarbeitsplätzen. Ein Hörfunkstudio gehört dazu sowie ein Videobereich mit Regieraum für Live-Mitschnitte. „Die Schüler“, umschreibt Schulleiter Zanders ein Unterrichtsziel, „sollen die Produktionsbedingungen von Massenmedien kennen lernen“. Doch auch für „profane“ Dinge gibt der Unterstützerverein Geld: 2.000 Euro kostete die Hochsprungmatte für den Sportunterricht. 1.345 Euro teuer waren Pianoreparatur und neue Tastaturen. 1.770 Euro verschlangen der neue Beamer plus PC-Zubehör für Physik. Eine privat finanzierte Unterstützung, von der staatliche Haupt- und Sonderschulen nur träumen können. Mitunter übernehmen Fördervereine auch die Aufgaben eines Bauträgers. So geschehen an der Elsa-Brändström-Schule in Hannover im Jahr 2001. Ein alter Trakt des Gymnasiums war so baufällig geworden, dass der Abriss bevorstand. „Doch die Stadt hätte das nie wieder aufgebaut“, erklärte die damalige Schulleiterin Brigitte Netzel. Die Vierzügigkeit des Gymnasiums war bedroht. Denn weniger Räume bedeuten weniger Klassen. Dann geschah ein Wunder: Ein 80-jähriger Pensionär, selbst früher Lehrer, spendete der Schule umgerechnet 500.000 50 Euro – Geld aus einer Erbschaft. Der Förderverein nahm den Neubau in die Hand. Ein Vater sprang als Notar ein, ein anderer als Architekt. Und in Rekordzeit entstanden vier neue Klassenräume mit Oberstufenbibliothek. „So müssen unsere Schulen in Zukunft arbeiten, mit Sponsoren und Eigeninitiative“, zitierte die Hannoversche Allgemeine Zeitung Schulleiterin Netzel. „Dann wäre Vieles schneller und billiger.“ „Die Investitionen in den Kommunalhaushalten sind dramatisch abgerutscht. Im Jahr 2004 beliefen sie sich auf 19,7 Milliarden Euro, 1992 waren es noch 33,5 Milliarden Euro.“ (Deutscher Städtetag am 29. September 2005) Auch am Gymnasium Blankenese fließen private Gelder, um Schulräume auf Vordermann zu bringen. Das rote Backsteingebäude aus dem Jahre 1894 wird seit gut drei Jahren renoviert. Bei unserem Besuch Mitte Dezember 2005 ist die Fassade eingerüstet, Plastikplanen verdecken die Fenster, Baulärm dröhnt auch während der Unterrichtszeit. Doch längst nicht alle Baukosten übernimmt die Hamburger Behörde für Bildung. So informierte der Förderverein des Gymnasiums: Die Behörde übernimmt 38.000 Euro für die Modernisierung der Aula nur „unter der Bedingung, dass wir 9.000 Euro an Eigenmitteln aufbringen“. Doch vor dieser Belastung ist dem Förderverein nicht bange. „Das sollte doch zu schaffen sein“, heißt es im Spendenaufruf des Vereins. Nun sollen die öffentlichen Schulen weitere Aufgabe stemmen. Die Bundesregierung verkündete, dass bis zum Jahr 2007 über 5.000 Schulen mit Ganztagsprogramm entstehen. Zu diesem Zweck macht die Berliner Regierung zwar vier Milliarden Euro locker. Doch dieses Geld fließt lediglich in den Bau der notwendigen Räume, also in die neue Schulkantine, die Cafeteria, die Mehrzweck-Halle. Das erforderliche 51 Personal einzustellen, ist Sache von Kommunen und Ländern. Die aber schieben sich oftmals gegenseitig die finanzielle Verantwortung zu. Hinzu kommt das Problem, dass öffentliche Schulen in der Regel nicht als Arbeitgeber auftreten dürfen. Wer muss oftmals in die Bresche springen? Die Fördervereine. „Die arbeiten rund um die Uhr“, schildert Stefan Appel die Lage vieler Fördervereins-Aktivisten. Appel ist Bundesvorsitzer des Gesamtschulverbandes und Direktor der Ganztagsschule Hegelsberg in Kassel. Wenn Ehrenamtler zu Arbeitgebern werden „An unserer Schule haben wir 19 Honorarkräfte“, nennt er als Beispiel. Um den Schülern ganztags Angebote machen zu können, wird etwa ein Tanzlehrer beschäftigt. Zum Betreuungsteam gehört auch eine Krankenschwester, die mit den Schülern Säuglingsstationen besucht. Die Ganztagsmitarbeiter, berichtet Appel, werden aus einem Topf bezahlt, den das hessische Kultusministerium bereitstellt. Jedoch: „Der Förderverein macht die Honorarverträge“, sagt Appel. Ehrenamtler und Ehrenamtlerinnen geraten so in die Arbeitgeberrolle, sie müssen Rechtsfragen klären und Steuerprobleme lösen – viele Fördervereine kommen an ihre Grenzen. Die Belastung sei „im Moment extrem“, berichtet auch Susanne Neudert. Sie ist Mutter eines achtjährigen Sohnes und Vorsitzende des Fördervereins der Erich-Zeigner-Grundschule in Leipzig. Neudert und ihre Vereinskollegen und –kolleginnen kümmern sich um Nachmittagsangebote wie Tischlern, Englisch, Experimentier-Zirkel und LeseClub. „Wir sind alle berufstätig“, sagt Neudert über den harten Kern der Aktiven. Die Fördervereinsvorsitzende etwa betreut Großkunden für eine Fluggesellschaft. Jetzt hofft sie, dass der Verein bald durch ein oder zwei ABM-Kräfte entlastet wird. „Die sollen pädagogischen Hintergrund haben“, wünscht sich Neudert, „oder einen betriebswirtschaftlichen Hintergrund, um Abrechnungen zu machen“. 52 „Da hilft kein Jammern“ Es erstaunt, mit wie viel Gleichmut sich ehrenamtliche Helfer und Unterstützer immer neue Lasten aufbürden lassen. „Ohnehin haben sich Fördervereine damit abgefunden, dass der Staat sich (...) immer mehr vor seinen Schulaufgaben drückt“, bringt es ein Hörfunkbeitrag des WDR auf den Punkt. „Da hilft kein Jammern“, zitiert der öffentlich-rechtliche Sender den Vorsitzenden eines Bielefelder Fördervereins. „Wenn wir darauf warten wollen, bis der Staat Geld frei hat für unsere Kinder, sind unsere Kinder schon nicht mehr in der Schule.“ „DAX-Aktionären winkt Rekord-Dividende. Die Großkonzerne werden in der ersten Hälfte des kommenden Jahres laut einer Studie so viel Dividende zahlen wie noch nie.“ (Spiegel-Online, 5. Dezember 2005) Wo Fördervereine immer mehr Aufgaben übernehmen, tragen sie auch immer mehr Risiken. „Wenn was schief geht“, sagt Stefan Appel vom Ganztagsschulverband, „muss der erste Vorsitzende haften. Das wissen viele nicht.“ Um die Risiken abzusichern, bietet der Bundesverband der Schulfördervereine (BSFV) eine Vereinshaftpflicht- und eine Rechtsschutz-Versicherung der Firmengruppe ARAG an. Sie ist im Jahresbeitrag mit enthalten. Der liegt derzeit bei 30 Euro Vereinspauschale plus 1,04 Euro Versicherungsbeitrag je Mitglied. Pro Förderverein sind maximal 250 Euro im Jahr zu zahlen. Gegen Aufpreis ist zudem eine Unfallschutz-Versicherung zu haben. Wer dem Bundesverband als Förderverein beitritt, heißt es im BSFV-Faltblatt, der sichere somit „das ehrenamtliche Engagement der Eltern und sonstigen Mitglieder ab“. Gleich zwei Bundesverbände buhlen um Fördervereine Doch Bronders Dachverband stößt auf Konkurrenz. Auch der 2 „Bundesverband der Fördervereine in Deutschland e.V.“ (BFD) 53 bemüht sich um Mitglieder, bietet Beratung - und trommelt für Versicherungen. Als Schatzmeister und Geschäftsführer amtiert Gerd Nosek in Essen. Dessen Name taucht auf der Homepage des BFD ein weiteres Mal auf: Wer „Sponsoren“ anklickt, stößt auf „Nürnberger Versicherungsgruppe“, darunter steht „Unternehmensagentur Gerd Nosek“. Wir erfahren, dass Verbandsgeschäftsführer Nosek hauptberuflich Generalagent der Nürnberger Versicherungen ist – mit Büro unweit der Verbandszentrale. „Die Funktionen im BFD übe ich ehrenamtlich aus“, erklärt Nosek. „Die Interessen wurden auf keinen Fall vermengt“, betont der Versicherungsmann. „Das gilt auch für die Zukunft.“ Nach eigenen Angaben betreut der BFD „über 1.000 eingeschriebene und beitragstreue Fördervereine und Landesverbände“ und „ist somit der größte Verband seiner Art in Deutschland“. Nosek und seine Verbandskollegen finden übrigens, dass sich Fördervereine auch um den Berufseinstieg der Schulabgänger kümmern sollten. So startete der „Landesverband Schulischer Fördervereine Nordrhein-Westfalen“ (LSF), wichtigstes Mitglied im BFD, das Projekt „LSF-Zukunftsbörse“. Im Oktober 2005 lud der LSF „alle Schulleiter sowie die Vorsitzenden der Fördervereine“ zu einem Seminar nach Essen. Thema: „Arbeitgeber Bundeswehr“. Laut Einladungsschreiben referiert „Wehrdienstberatungsoffizier Herr Oberleutnant Christian Zupan“. Unterstützt wurde die Veranstaltung von der „Essener Wirtschaftsförderungs-GmbH“. „Unternehmensbesteuerung: Deutschland ist kein Hochsteuerland. Hinter abschreckend hohen nominalen Steuersätzen verbergen sich geradezu paradiesische Bedingungen für internationale Konzerne.“ (Professor Lorenz Jarass, Stanford University/ USA, University of Applied Sciences Wiesbaden, März 2005) 54 Der Bundespräsident findets toll Dass Eltern, Großeltern, ehemalige Schüler, aber auch viele Lehrerinnen und Lehrer in Fördervereinen unbezahlte Extraarbeit leisten, findet großen Beifall auf der politischen Bühne. Kein Geringerer als Bundespräsident Horst Köhler lobt in einem Brief an BSFV-Chef Dietmar Bronder die Schulfördervereine als „Keimzellen der Bürgergesellschaft“. Er begrüßt, wenn Menschen sich einbringen „in vorgebliche Reservate öffentlichen Handelns“. Der Bundespräsident würdigt vor allem die „große Bedeutung“, die Schulfördervereine „für die Sicherstellung (...) schulischer Infrastruktur haben“. BVSF-Chef Bronder verstand die Botschaft: „Gemeint ist die Übertragung von Aufgaben aus dem öffentlichen in den privaten Bereich.“ Der Hamburger Erziehungswissenschaftler Professor Peter Struck setzt noch eins darauf. „Künftig werden öffentliche Schulen in Deutschland ganz anders finanziert als heute“, sagt der Hochschullehrer. „Ein Drittel der Kosten zahlt der Staat, ein Drittel zahlen Unternehmen, ein Drittel übernehmen die Eltern.“ Ganztagsschule kostet extra Viele Eltern stöhnen bereits heute, weil ihnen der Staat für den Schulbesuch immer mehr Geld abknöpft. Das gilt vor allem an den Ganztagsschulen. Und wer arm ist, den überfordert bereits die Zahlung fürs tägliche Mittagessen – mit bösen Folgen für den Nachwuchs. Mario Dobe schlug deshalb Alarm. „Etwa jeder zehnte Schüler beteiligt sich nicht am Mittagessen“, berichtete der Leiter einer Berliner Ganztagsschule. Dobe droht mit Jugendamt, wenn Eltern ihre Kinder acht Stunden lang in den Unterricht schicken – und nicht einmal Pausenbrot und Getränk mitgeben. „Für mich ist das Verwahrlosung“, sagt der streitbare Pädagoge. Er betont allerdings, dass er den Schritt zum Jugendamt nur macht, wenn zuvor Gespräche mit den Eltern nichts fruchteten. Dobe leitet die Hunsrück-Grundschule im Bezirk Kreuz55 berg. Er kenne Schulen, in denen bis zur Hälfte der Kinder nicht am Schulessen teilnehmen. Zweierlei Preise für das Schulessen sorgen für Unmut Die tägliche warme Mahlzeit an der Hunsrück-Schule kostet etwa zwei Euro. „Das ist für viele Eltern zu viel“, räumt Dobe ein. Denn auch wer Arbeitslosengeld II oder Sozialhilfe bezieht, muss voll zahlen. Die Hunsrück-Schule gehört zu den „gebundenen“ Ganztagsschulen, die in den sozialen Brennpunkten Berlins liegen. Hier ist die Teilnahme am Ganztagsprogramm Pflicht für alle Schülerinnen und Schüler. An den gebundenen Ganztagsschulen kostet die Nachmittagsbetreuung zwar nichts – das Essen hingegen ist mit 40 Euro im Monat relativ teuer. Anders die „offenen“ Ganztagsschulen. Hier besuchen die Kinder freiwillig das Nachmittagsprogramm. Dafür werden die Eltern zur Kasse gebeten. Sie zahlen jedoch weniger für die warme Mahlzeit: lediglich 23 Euro im Monat. Dieser Preisunterschied sorgt für Unmut bei Eltern an den gebundenen Schulen. Etliche versuchen denn auch, dieser Zahlung zu entgehen. Was möglich ist, denn an den gebundenen Schulen sind die Kinder nicht verpflichtet, am Essen teilzunehmen. Dies sei ein Fehler, sagt dazu der Leiter einer Berliner Grundschule. „Aus meiner Sicht gehört zum Besuch einer Ganztagsschule ein gesundes, obligatorisches Mittagessen dazu“, so der Pädagoge. Zahlreiche Eltern in der Hauptstadt, so berichten Lehrerinnen und Lehrer, schicken ihre Kinder sogar ohne Pausenbrote los. „Was soll man tun?“, fragt ein Leserbriefschreiber im Berliner Tagesspiegel. „Die Kinder von der Ganztagsschule ausschließen, wenn ihre Eltern das Essensgeld verweigern?“ Ein Berliner Rektor hat angekündigt, dass er genau so verfahren will. Inzwischen wird diskutiert, ob der Senat oder die Bezirke das Schulessen für Bedürftige wenigstens bezuschussen können. 56 Auch die Bielefelder Luther-Schule stellt ein Nachmittagsangebot auf die Beine. Das Geld fließt aus dem nordrhein-westfälischen Programm „13 Plus“ – einer „Billiglösung“ des Landes, sagt Schulleiter Husemann. Das Geld für die Honorarkräfte, erläutert der Pädagoge, sei „knapp bemessen“. Die Kinder bis 16 Uhr zu beaufsichtigen, bei den Hausaufgaben zu helfen – mehr ist an der Luther-Schule nicht drin. Auch eine Kantine oder Cafeteria für das Mittagessen fehlt. Zur gemeinsamen Mahlzeit gehts in einen Klassenraum. „Da werden Schülertische zusammengeschoben“, erzählt Husemann. Hier sitzen heute 15 Mädchen und Jungs beim Essen. Es gibt Geflügel-Gyros mit Krautsalat und Tzaziki. Zwei Euro kostet die Mahlzeit. „Viele können das nicht zahlen“, berichtet der Schulleiter. Wer dennoch über Mittag in der Schule bleibe, bekomme Toastbrot. Bis zu 150 Euro im Monat für Nachmittagsbetreuung Doch das Essensgeld ist längst nicht alles, was Eltern bundesweit mit Einführung der Ganztagsschulen zu finanzieren haben. Beispiel Nordrhein-Westfalen: Bis zu 100 Euro monatlich dürfen die Kommunen und Kreise bislang den Eltern abknöpfen, wenn sie ihre Sprösslinge in die „offene“ Ganztagsschule schicken. Ab August 2006 hat die Landesregierung den Höchstsatz auf 150 Euro rauf gesetzt. Die Höhe des Elternbeitrages richtet sich nach dem Einkommen. In Köln etwa gilt derzeit folgende Regelung: Niedrigverdiener, Sozialhilfe-Empfänger und Arbeitslosengeld-II-Bezieher zahlen derzeit zehn Euro pro Kind und Monat. Familien, deren Einkommen zwischen 24.542 Euro und 36.813 Euro brutto im Jahr liegt, müssen 60 Euro im Monat aufbringen. Bei einem Einkommen ab 49.084 Euro brutto im Jahr sind 80 Euro zu überweisen. Wer zwei oder mehr Kinder auf der Ganztagsschule hat, zahlt für das zweite oder dritte Kind jeweils zehn Euro im Monat. Mit 80 Euro Monatsbeitrag ist die derzeit oberste Stufe in Köln erreicht. 57 Martina Schmerr vom GEW-Hauptvorstand erinnert daran, dass Eltern auch ohne Ganztagsschulen ordentlich zur Kasse gebeten werden. „Für den Schwimmunterricht, für den Transport zur Schule, für Laptops“, zählt die Gewerkschafterin auf. Hinzu komme, so Schmerr, „was die Familien schon immer schultern“. Also Lernmittel wie Taschenrechner und Zirkel, der Schreibtisch im Kinderzimmer, Zusatzliteratur, Computer, Lernsoftware – bis hin zur Nachhilfe. Jeder vierte Schüler erhält bereits bezahlten Nachhilfeunterricht. Das ergab die jüngste Untersuchung des „Sozio-oekonomischen Panels“ (SOEP). Das SOEP wird vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin gefördert. Im August 2005 von solchen Zahlen alarmiert, beteuerte Edelgard Bulmahn (SPD), damals Bundesministerin für Bildung: „Der Schulerfolg der Kinder darf nicht vom Geldbeutel der Eltern abhängen.“ Kampf gegen das Büchergeld Doch Müttern und Vätern droht noch mehr Ungemach. Die Lehrund Lernmittelfreiheit steht auf dem Prüfstand. In einigen Bundesländern sind die allein vom Staat finanzierten Schulbücher bereits abgeschafft. Gegenwehr formiert sich. „Eltern gegen Büchergeld“ nennt sich etwa die Boykottbewegung in Hamburg. Bis zu 50 Euro pro Jahr muss jeder Grundschüler der Hansestadt seit vergangenem Herbst für die Schulbücher aufbringen. Bis zu 100 Euro pro Jahr sind es am Gymnasium. „Elternsteuer“, nennen die Boykottanhänger das umstrittene Büchergeld. „Die Eltern von mindestens 20.000 Schülern“, so Frank Ramlow vom Boykott-Komitee noch im Januar 2006, weigerten sich, den Obulus zu überweisen. Demnach beteiligten sich fast zehn Prozent aller Hamburger Eltern. Zwar sind die Bezieher von Arbeitslosengeld II oder Sozialhilfe vom Büchergeld befreit. Doch liege der Arbeitsverdienst „nur ein paar Euro darüber, dann müssen sie voll bluten“, schimpft Ramlow. Entsprechend hoch kocht die Wut. Im Internetforum des Boykott-Komitees schreibt eine Alleinerziehende, 58 sie sei geringfügig beschäftigt und müsse daher voll bezahlen: „Für meine beiden Kinder“, schreibt sie, „übers Jahr zirka je 100 Euro an Lehrmitteln.“ Wäre sie arbeitslos, schimpft die Mutter, „wäre ich davon befreit; welche Logik.“ Eine andere Frau schreibt, dass sie neben dem Büchergeld ja bereits gezahlt habe: „50 Euro weg, für Kopien, Malunterlagen, Stifte, Bastelkram.“ Die empörte Mutter fährt fort: „Bald kann ich auch fürs zweite Kind zahlen. Mit mir nicht!“ Etlichen missfällt auch der hohe Verwaltungsaufwand, den das Büchergeld erzeugt. „Für Pädagogik bleibt weniger Zeit“, kritisiert ein Vater. Auch in Bayern gehen die Wellen hoch, seit der Freistaat die Lernmittelfreiheit gekippt hat. „Eltern, Schüler, Lehrer: Alle schimpfen aufs Büchergeld“, titelte die Münchner „Abendzeitung“ im September 2005. Seit Beginn des laufenden Schuljahres sind Bayerns Schulen verpflichtet, Geld für Schulbücher einzusammeln. 20 Euro im Jahr zahlen Grundschüler, 40 Euro müssen Schüler an weiterführenden Schulen aufbringen. Auch im Freistaat gibt es Kritik an dem Verwaltungswust, den das Büchergeld erzeugt. „Praktisch die ganze Schule ist damit beschäftigt, dass die Sache läuft“, meldet eine Münchner Hauptschule. Kultusminister Siegfried Schneider (CSU) hingegen verteidigt die Regelung. „Das Büchergeld sichert den raschen Wissenstransfer.“ Dank des Büchergeldes könnten Schulen viel rascher als bisher aktuelle Bücher und Lernsoftware kaufen. Großfamilien seien ab dem dritten Kind vom Büchergeld befreit, fährt Schneider fort. „Ferner brauchen Eltern in finanziell schwieriger Situation kein Büchergeld zahlen“, erklärt das Ministerium. Das gelte etwa für „Empfänger von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch“. Proteste der SPD nennt Kultusminister Schneider „unverständlich“. Er verweist auf die Büchergeldregelung im SPD-PDS-regierten Berlin, wo „Eltern sogar eine Eigenbeteiligung von 100 Euro pro Schuljahr leisten müssen“. Beschwichtigende Worte zum Büchergeld, die längst nicht alle Erzie59 hungsberechtigte überzeugen. „Für eine alleinerziehende Mutter ist das untragbar“, zitiert die Münchner Abendzeitung eine Frau mit zwei Kindern aus Bad Tölz. Quellen 1 2 60 www.schulfoerdervereine.de www.bfd-aktuell.de GEW-Links zu den Themen Privatisierung und Bildungsfinanzierung Informationen zur Lernmittelfreiheit: http://www.gew.de/Lernmittelfreiheit.html Kurzinformation und Links zum Thema Schulsponsoring: http://www.abc-der-ganztagsschule.de/Sponsoring.html Materialien zur Bildungsfinanzierung: http://www.gew.de/Bildungsfinanzierung_3.html „Bildung ist keine Ware“. Beschluss des Erfurter Gewerkschaftstages 2005 zur Bildungsfinanzierung: http://www.gew.de/Binaries/Binary9230/Antrag3.2_DS23_46_90_91mitAend.pdf Pressekonferenz "Bildungsfinanzierung: Zwischen PISA und leeren Kassen - woher soll das Geld für die Bildung kommen?" Materialien vom 14.5.2004 unter: http://www.gew.de/GEW_verlangt_20_Milliarden_Euro_fuer_Bildung_2010.html Gutachten, Informationen und Links zum Handelsabkommen GATS: http://www.gew.de/GATS_3.html Wenn allein der Markt entscheidet. Informationen zur EU-Dienstleistungsrichtlinie: http://www.gew.de/EU-Dienstleistungsrichtlinie.html Informationen und Kommentare zum Thema Kita-Gebühren: http://www.gew.de/Kita-Gebuehren.html und http://www.gew.de/Bildungsfinanzierung_5.html Zur Privatisierung der Hamburger Berufsschulen: http://www.gew.de/Page1851.html Informationen und Kommentare zum Thema Studienfinanzierung und Studiengebühren: http://www.gew.de/Studienfinanzierung_2.html und http://www.gew.de/Studiengebuehren_2.html New Public Management in Hochschule und Forschung: http://www.gew.de/New_Public_Management.html 61 Der kurze Weg zur GEW GEW Baden-Württemberg Silcherstraße 7 70176 Stuttgart Telefon: 0711/21030-0 Telefax: 0711/21030-45 www.gew-bw.de info@gew-bw.de GEW Bayern Schwanthalerstraße 64 80336 München Telefon: 089/544081-0 Telefax: 089/5389487 www.bayern.gew.de info@bayern.gew.de GEW Berlin Ahornstraße 5 10787 Berlin Telefon: 030/219993-0 Telefax: 030/219993-50 www.gew-berlin.de info@gew-berlin.de GEW Brandenburg Alleestraße 6a 14469 Potsdam Telefon: 0331/27184-0 Telefax: 0331/27184-30 www.gew-brandenburg.de info@gew-brandenburg.de GEW Bremen Löningstraße 35 28195 Bremen Telefon: 0421/33764-0 Telefax: 0421/33764-30 www.gew-bremen.de info@gew-hb.de GEW Hamburg Rothenbaumchaussee 15 20148 Hamburg Telefon: 040/414633-0 Telefax: 040/440877 www.gew-hamburg.de info@gew-hamburg.de GEW Hessen Zimmerweg 12 60325 Frankfurt am Main Telefon: 069/971293-0 Telefax: 069/971293-93 www.gew-hessen.de info@hessen.gew.de GEW MecklenburgVorpommern Lübecker Straße 265a 19059 Schwerin Telefon: 0385/4852711 Telefax: 0385/4852724 www.gew-mv.de Landesverband@mvp.GEW.de GEW Niedersachsen Berliner Allee 16 30175 Hannover Telefon: 0511/33804-0 Telefax: 0511/33804-46 www.GEW-NDS.de email@gew-nds.de GEW Nordrhein-Westfalen Nünningstraße 11 45141 Essen Telefon: 0201/294030-1 Telefax: 0201/29403-51 www.gew-nrw.de info@gew-nrw.de GEW Rheinland-Pfalz Neubrunnenstraße 8 55116 Mainz Telefon: 06131/28988-0 Telefax: 06131/28988-80 www.gew-rheinland-pfalz.de gew@GEW-Rheinland-Pfalz.de GEW Saarland Mainzer Straße 84 66121 Saarbrücken Telefon: 0681/66830-0 Telefax: 0681/66830-17 www.gew-saarland.de sekretariat@gew-saarland.de GEW Sachsen Nonnenstraße 58 04229 Leipzig Telefon: 0341/4947404 Telefax: 0341/4947406 www.gew-sachsen.de GEW-Sachsen@t-online.de GEW Sachsen-Anhalt Markgrafenstraße 6 39114 Magdeburg Telefon: 0391/73554-0 Telefax: 0391/7313405 www.gew-lsa.de lv@gew-lsa.de GEW Schleswig-Holstein Legienstraße 22–24 24103 Kiel Telefon: 0431/554220 Telefax: 0431/554948 www.gew-sh.de info@gew-sh.de GEW Thüringen Heinrich-Mann-Straße 22 99096 Erfurt Telefon: 0361/59095-0 Telefax: 0361/59095-60 www.gew-thueringen.de info@gew-thueringen.de GEW-Hauptvorstand Reifenberger Straße 21 60489 Frankfurt am Main Telefon: 069/78973-0 Telefax: 069/78973-201 www.gew.de info@gew.de GEW-Hauptvorstand Parlamentarisches Verbindungsbüro Berlin Wallstraße 65 10179 Berlin Telefon: 030/235014-0 Telefax: 030/235014-10 info@buero-berlin.gew.de Die GEW im Internet: www.gew.de Beitrittserklärung Frau/Herr Vorname/Name Straße/Nr. Land (D für BRD), Postleitzahl/Ort E-mail-Adresse Geburtsdatum Nationalität bisher gewerkschaftlich organisiert bei Telefon von bis (Monat/Jahr) Name/Ort der Bank Kontonummer BLZ Berufsbezeichnung/-ziel beschäftigt seit Fachgruppe Entgelt/Tarif/Besoldungsgruppe Bruttoeinkommen monatlich Betrieb/Dienststelle Träger Straße/Nr. des Betriebs/der Dienststelle Postleitzahl/Ort Beschäftigungsverhältnis t angestellt t beamtet t in Rente t pensioniert t Altersübergangsgeld t arbeitslos t Honorarkraft t beurlaubt ohne Bezüge t teilzeitbeschäftigt mit t im Studium t Vorbereitungsdienst/Berufspraktikum t befristet bis t Sonstiges Std./Woche Jedes Mitglied der GEW ist verpflichtet, den satzungsgemäßen Beitrag zu entrichten und seine Zahlungen daraufhin regelmäßig zu überprüfen. Mit meiner Unterschrift auf diesem Antrag ermächtige ich die GEW zugleich widerruflich, den von mir zu leistenden Mitgliedsbeitrag vierteljährlich von meinem Konto abzubuchen. 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